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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0272
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Psychologie der Weltanschauungen

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| Der Historismus ist großartig in Deutschland vertreten gewesen durch Hegel einer-
seits, die historische Schule andererseits. Der Gegenschlag des Lebens war der Kier-
kegaards gegen Hegel und der Nietzsches gegen die Gesinnung der historischen
Schule. Beispiel für diese historische Gesinnung ist etwa die Freude Hayms196 am hi-
storischen Relativieren, sofern diese Freude in sich befriedigt ist und nichts weiter will;
er sagt: »Es ist einer der aufklärendsten Schritte, welche überhaupt getan werden kön-
nen, wenn man, die Arbeit der Geschichte rückwärts nachahmend, etwas, was bis da-
hin als etwas Dogmatisches, als etwas objektives Ideelles, als eine Metaphysik oder Re-
ligion, als ein Ewiges und Fixes gegolten hat, zu einem rein Historischen herabholt
und bis auf seinen Ursprung im bewegten Menschengeiste hineinverfolgt.«197 Drastisch
faßt Dilthey die Gesinnung der historischen Schule, die er bejaht, in die Worte: »Eine
rein empirische Betrachtungsweise lebte in dieser Schule, liebevolle Vertiefung in die
Besonderheit des geschichtlichen Vorgangs, universaler Geist der Geschichtsbetrach-
tung, welcher den Wert des einzelnen Tatbestandes allein aus dem Zusammenhang der
Entwicklung bestimmen will, und ein geschichtlicher Geist der Gesellschaftslehre,
welcher für das Leben der Gegenwart Erklärung und Regel im Studium der Vergangenheit
sucht und dem schließlich geistiges Leben in jedem Punkte geschichtliches ist.«198
C. Das metaphysische Weltbild.
Daß neben das sinnlich-räumliche und das seelisch-kulturelle Weltbild noch ein me-
taphysisches gestellt wird, muß dem unerlaubt erscheinen, der in diesem nur eine
Menge von Fabeln, Phantasien, Begriffsdichtungen sieht. Uns kommt es nicht auf
Rechtfertigung irgendwelcher Bilder, sondern auf ihre Darstellung und Charakteristik
an; es kommt nur darauf an, zu sehen, was in der menschlichen Seele Kraft hat. Was
jener Dichtungen nennt, ist aber zu allen Zeiten, gerade auch bei den großen Men-
schen, das psychologisch Wirksamste gewesen. Daß die Welt nicht erschöpft ist mit
dem, was sinnlich in Raum und Zeit vorhanden ist, und dem, was verstehbar, sinnhaft,
innerlich ist, das hat der Mensch immer wieder evident erlebt, obgleich ihm seine Or-
gane anscheinend keine anderen anschaulichen Welten offenbaren.
Während in den beiden anderen Richtungen das Konkret-Anschauliche als solches
in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit gesucht wurde; während man dort, wenn man
hinter das Unmittelbare geht, doch auch das Hinzugedachte, Hinzuvorgestellte prin-
zipiell immer anschaulich vor sich in Raum und Zeit haben kann, geht hier das Welt-
bild auf etwas ganz anderes: auf das Ganze (oder die Totalität) und auf das Absolute (oder
das Unbedingte, Letzte). Die menschliche Geistesstruktur ist so, daß das Absolute
gleichsam ein Ort für den Menschen ist, an den er unvermeidlich etwas stellen muß,
| mag er es praktisch, ohne es für sich zu wissen, in seinem Leben, oder denkend auch
für sein Bewußtsein tun. Er muß (psychologisch kann er nicht anders) etwas dahin
stellen und sei es das Nichts, sei es die These, es gäbe kein Absolutes. Man hat von fa-
natischen Atheisten wohl gesagt, daß sie ihren Nichtgott anbeten.

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