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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0277
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184

Psychologie der Weltanschauungen

190 Wirklich\keitsstufen. Durch diese Stufenreihe lebt der Mensch überall im Ganzen,
wenn auch auf niedriger Stufe. Das Jenseits ist da, aber es wird von ihm aus nicht das
Diesseits verworfen, sondern im Diesseits selbst ist das Jenseits in verschiedenen Stu-
fen anwesend. Und wenn die geringste Stufe der Wirklichkeit, das Unwirkliche
schließlich abgetan, verworfen, nur verworfen wird, so ist doch unser tatsächliches
Leben nicht zusammenfallend mit ihm, sondern es hat es nur in sich, um es im Pro-
zesse der Steigerung fortzuwerfen.
Es liegt auf der Hand, daß in gedanklichen Formulierungen solcher Art Grade des
Wertes und der Bedeutungin schillernder Weise mit Graden der Wirklichkeit zusammen-
fließen. Realität selbst kann keine Grade haben. Etwas ist wirklich oder nicht wirklich.
Wenn von Graden des Seins gesprochen wird, so handelt es sich darum, daß das Wert-
negative unwirklich, das Wertpositive wirklich genannt wird. Da alles Wirkliche nun
zwischen dem absolut Wertvollen und dem absolut Nichtigen liegt, so ist ein Sprechen
von Graden des Wirklichen möglich, wenn es sich um das Werthafte handelt. Doch
ist die einfache Trennung von Wirklichkeit und Wert zum Erfassen des Charakters die-
ser metaphysischen Weltbilder von Wirklichkeitsgraden unzureichend. Jedenfalls fal-
len in jene Grade alle nur möglichen Wertgegensätze und dazu jene Anschaulichkei-
ten, die zwar Wertakzente tragen können, aber nicht selbst Wert sind, vor allem die
Idee des Substantiellen. Grad der Wirklichkeit und Aufgehobensein in einem Ganzen
fallen zusammen: unwirklich ist die Sinnlichkeit, die sich von der Bestimmung durch
den Geist löst, unwirklich ist die Sünde, der Schein, die Unwahrheit, unwirklich ist die
Zeit, sofern sie nicht aufgehoben ist in der Ewigkeit, unwirklich das Räumliche, das
nicht im Unendlichen besteht, unwirklich überhaupt alles Endliche, das seine End-
lichkeit isoliert und nichts darüber hinaus ist. Darum ist auch unwirklich das Indivi-
duum als endliches, wirklich das Selbst als unendliches; dagegen unwirklich auch die
bloße Endlosigkeit des Individuellen.
So wird die metaphysische Wirklichkeit ein Jenseits, auf das alles Werthafte und
alles Substantielle übertragen wird, an dem das Diesseitige überall teilhat, aber nur in
dem Maß, als es wertvoll, sinnvoll und substantiell ist. Alle Kräfte, die von den Vorstel-
lungen des Wirklichen ausgehen, verbinden sich mit denen, welche von den Werten,
den Imperativen, dem Sinn und vor allem von der Idee der Substanz ausgehen, um die-
ses metaphysische Weltbild für den Menschen prägend, haltgebend und wirkend wer-
den zu lassen.

| II. Die inhaltlichen Typen.

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1. Das mythologisch-dämonische Weltbild ist das primitive, unmittelbare aller Völker
der Erde. Es ist früher und wirklicher als Natur- und seelische Weltbilder. Die Wirklich-
keit dieser metaphysischen Kräfte wird drastisch erlebt; die Deutung der Ereignisse in
dieser Richtung ist das Selbstverständliche. Fragen von Einheit und Chaos und derglei-
 
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