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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0329
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Psychologie der Weltanschauungen

Übel jeglicher Art oder für das Positive in jeder Gestalt und jeder Verkümmerung
gegenüber.
Als Formeln treten Optimismus und Pessimismus auf, indem der eine sagt: Diese
ist die beste aller möglichen Welten, alles Übel dient einem Guten, und indem der an-
dere entgegnet: Die Summe der Lust ist in der Welt so viel geringer als die Summe der
Unlust, daß es besser wäre, die Welt wäre gar nicht.
Eine andere Reaktion empfindet beide Stellungen als Sackgassen. Den Wertgegen-
satz vermag dieser Mensch nicht zu verabsolutieren, als bloß im konkreten einzelnen
Tun und dem Entweder-Oder, das hier dem Leben entgegentritt. Von der Welt im gan-
zen vermag er so etwas nicht zu sagen. Das Leben wird doch erst zeigen, was die Welt
ist, und die Welt ist nie fertig. Was sie ist, so empfindet er, hängt auch von mir ab. Sie
ist überhaupt nicht, sondern sie wird. Und wenn ich schon von der Welt als Ganzem
24p reden soll, so ist j eden | falls der Wertgegensatz nur relativ auf das Subj ekt in der Subj ekt-
Objektspaltung und hierüber hinaus nicht da. Die Welt als Ganzes ist weder wertposi-
tiv noch wertnegativ, ich weiß nicht, was sie ist, kann jedenfalls die Kategorien für das
Objekt in der Objektspaltung nicht auf das Ganze des Daseins anwenden, ohne mich
des Lebens zu berauben, weil ich damit für mich alles still stelle und endgültig mache.
Die Stimmung des Optimisten ist so, daß er für die Werte die Unwerte in Kauf neh-
men will, wenn er sie nicht beseitigen kann, und so, daß er ihre Bedeutung verkleinert,
überall etwas Gutes herauszufinden sucht. Die Stimmung des Pessimisten ist so, daß
ihm eine einzige Qual nicht durch alle Werte aufgewogen werden kann, und daß er
lieber nicht wäre. Dem Lebendigen aber erscheint der Optimist ein harmonisierender
Schwätzer und Leichtzufriedener, der Pessimist als ein müder, unlebendiger Klagen-
der, der bloß betrachten und leiden, nicht leben kann; beide aber als festgerannt in
Sackgassen, weil sie ein Einzelnes zum Ganzen verabsolutieren.
Jede Schilderung des Leidens ist ihrer Art nach schon bestimmt durch die Stellung
zum Leiden, ob pessimistisch oder harmonisierend. Schon welche Leiden man in den
Vordergrund schiebt, ist charakteristisch. Buddha z.B. kann genießen und sich
freuen, und er würde das Leben lieben, wenn es nicht vergänglich wäre: Der Tod ist das
Furchtbare. Für Schopenhauer ist das Leben selbst schon überwiegend schmerzlich,
er zeigt Unfähigkeit zur Freude, zum Positiven des Lebens, er kann nicht leben, wird
fast kläglich und liebt den Tod. Einige Schilderungen des Leidens mögen zur Veran-
schaulichung dienen:
Pascal:328 »Der beschränkteste Geist vermag einzusehen, daß es auf Erden für uns keine wahr-
haft dauernde Befriedigung gibt; daß alle unsere Freuden eitel Vergänglichkeit, unsere Leiden
dagegen Unendlichkeit .,.«329 »Alle Menschen wünschen glücklich zu sein ... alle klagen ... die
Gegenwart befriedigt uns nie, wir folgen den Lockungen der Hoffnung, und sie führt uns von
Unglück zu Unglück bis zum Tode ... Sonderbarerweise existiert nichts in der Natur, was nicht
schon den Endzweck und das Glück des Menschen ausgemacht hätte, Sterne, Insekten, Krank-
heiten, Kriege, Laster, Verbrechen usw. Seit er das wahre Glück verloren, kann ihm alles als sol-
 
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