Psychologie der Weltanschauungen
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stenz. So drängt der absolute Entschluß zur Abwehr und zur Kontrolle immer wieder auf
die objektiven Vernunftformen. Er sucht, soweit es irgend geht, in Gründen und Formen
sich eine objektive Existenz und Berechtigung zu sichern, dafür zu sorgen, daß er nicht
verwechselt wird. Je sorgfältiger aber dieser Weg beschritten wird, desto mehr gerät er
in den allem Rationalen an sich eigenen Relativismus, sofern er es in voller Ehrlichkeit
vermeidet, das Wesen der intellektuellen Formen durch einen erstarrenden Gewaltakt
(der Festlegung eines Absoluten in dieser Sphäre) zu zerstören. So entspringt schließ-
lich die Einsicht und die ihr entsprechende Einstellung: Bei aller nur möglichen Ob-
jektivierung und der Bereitschaft, in den Formen der ratio sich und anderen grenzen-
los Rede und Antwort zu stehen und sich so zu kontrollieren, ist doch die entscheidende
Instanz nie hier zu finden, sondern bleibt in jenen auf immer breiterer und tieferer
Grundlage der Objektivierungen sich erhebenden Akten des wählenden Entschlusses,
die mit dem Bewußtsein entstehen, aus der Totalität des Wesens zu entspringen. Es
entwickelt sich ein Instinkt der Verantwortung, der immer feiner und immer redlicher
auf die subjektiv erlebten Qualitäten der irrationalen Akte reagiert und in zuletzt gar
nicht mehr objektivierbarer Weise auf die Frage entscheidet: Wer spricht? Trieb und
Neigung oder Totalität des Wesens? und wie verbinden sich beide oder auf welcher Hö-
henlage in den Stufenreichen zur Totalität hin befinde ich mich? So löst sich nie voll-
kommen objektiv, sondern nur subjektiv in der Wahl der verantwortungsbewußten
Seele jenes unendliche Schwanken zwischen Gegensätzen wie Chaos und Form, Sub-
jektivismus und Objektivismus. -
Fassen wir in kurzer Formel das Gesagte zusammen: Das Leben des Geistes verläuft
nicht kontinuierlich, sondern die kontinuierlichen | Phasen der Entwicklung werden
unterbrochen durch Krisen, Umschmelzungen, Metamorphosen, und das Neue tritt durch
einen Sprung ins Dasein. Der Sprung gibt ein gleichsam neues Niveau, j ede so erreichte
Position birgt als lebendige eine Unendlichkeit, ist darum nicht zureichend »abzulei-
ten«, zu »erklären« und zu »verstehen«, wenn auch alles dieses durch das Einsehen-
wollen, das sich keine Grenzen setzen läßt, faktisch voranschreitet.
b) Jeder Wendepunkt im Prozeß des Geistes ist im Menschen eine Erschütterung.
Immer droht Verzweiflung, drohen die Wege zum Nihilismus und zum sicher bergen-
den, aber erstarrten Gehäuse. Will man bezeichnen, was der Halt sei, der in den Er-
schütterungen der Wendepunkte auftaucht, was die Kraft sei, die immerfort zugleich
hält und treibt, so nennt man es Glaube. Der Glaube in diesem Sinne ist kein bestimm-
ter Inhalt, kein Satz, sondern eine Richtung, ein Unbedingtes, das sich in viele Unbe-
dingtheiten zersplittert, in welchen allein es sichtbar ist, wenn auch jedes Einzelne als
Einzelnes endlichen Charakter hat und gegebenenfalls im Laufe des weiteren Prozes-
ses relativiert wird.
Glaube steht im Gegensatz zum Wissen, die Kraft des Subjekts im Gegensatz zur ob-
jektiven, unpersönlichen Gewißheit. Der Gegensatz von Glauben und Wissen wird
ziemlich gleichgültig in dem Sprachgebrauch, der das »Glauben« als ein bloß unsiche-
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stenz. So drängt der absolute Entschluß zur Abwehr und zur Kontrolle immer wieder auf
die objektiven Vernunftformen. Er sucht, soweit es irgend geht, in Gründen und Formen
sich eine objektive Existenz und Berechtigung zu sichern, dafür zu sorgen, daß er nicht
verwechselt wird. Je sorgfältiger aber dieser Weg beschritten wird, desto mehr gerät er
in den allem Rationalen an sich eigenen Relativismus, sofern er es in voller Ehrlichkeit
vermeidet, das Wesen der intellektuellen Formen durch einen erstarrenden Gewaltakt
(der Festlegung eines Absoluten in dieser Sphäre) zu zerstören. So entspringt schließ-
lich die Einsicht und die ihr entsprechende Einstellung: Bei aller nur möglichen Ob-
jektivierung und der Bereitschaft, in den Formen der ratio sich und anderen grenzen-
los Rede und Antwort zu stehen und sich so zu kontrollieren, ist doch die entscheidende
Instanz nie hier zu finden, sondern bleibt in jenen auf immer breiterer und tieferer
Grundlage der Objektivierungen sich erhebenden Akten des wählenden Entschlusses,
die mit dem Bewußtsein entstehen, aus der Totalität des Wesens zu entspringen. Es
entwickelt sich ein Instinkt der Verantwortung, der immer feiner und immer redlicher
auf die subjektiv erlebten Qualitäten der irrationalen Akte reagiert und in zuletzt gar
nicht mehr objektivierbarer Weise auf die Frage entscheidet: Wer spricht? Trieb und
Neigung oder Totalität des Wesens? und wie verbinden sich beide oder auf welcher Hö-
henlage in den Stufenreichen zur Totalität hin befinde ich mich? So löst sich nie voll-
kommen objektiv, sondern nur subjektiv in der Wahl der verantwortungsbewußten
Seele jenes unendliche Schwanken zwischen Gegensätzen wie Chaos und Form, Sub-
jektivismus und Objektivismus. -
Fassen wir in kurzer Formel das Gesagte zusammen: Das Leben des Geistes verläuft
nicht kontinuierlich, sondern die kontinuierlichen | Phasen der Entwicklung werden
unterbrochen durch Krisen, Umschmelzungen, Metamorphosen, und das Neue tritt durch
einen Sprung ins Dasein. Der Sprung gibt ein gleichsam neues Niveau, j ede so erreichte
Position birgt als lebendige eine Unendlichkeit, ist darum nicht zureichend »abzulei-
ten«, zu »erklären« und zu »verstehen«, wenn auch alles dieses durch das Einsehen-
wollen, das sich keine Grenzen setzen läßt, faktisch voranschreitet.
b) Jeder Wendepunkt im Prozeß des Geistes ist im Menschen eine Erschütterung.
Immer droht Verzweiflung, drohen die Wege zum Nihilismus und zum sicher bergen-
den, aber erstarrten Gehäuse. Will man bezeichnen, was der Halt sei, der in den Er-
schütterungen der Wendepunkte auftaucht, was die Kraft sei, die immerfort zugleich
hält und treibt, so nennt man es Glaube. Der Glaube in diesem Sinne ist kein bestimm-
ter Inhalt, kein Satz, sondern eine Richtung, ein Unbedingtes, das sich in viele Unbe-
dingtheiten zersplittert, in welchen allein es sichtbar ist, wenn auch jedes Einzelne als
Einzelnes endlichen Charakter hat und gegebenenfalls im Laufe des weiteren Prozes-
ses relativiert wird.
Glaube steht im Gegensatz zum Wissen, die Kraft des Subjekts im Gegensatz zur ob-
jektiven, unpersönlichen Gewißheit. Der Gegensatz von Glauben und Wissen wird
ziemlich gleichgültig in dem Sprachgebrauch, der das »Glauben« als ein bloß unsiche-
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