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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0465
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372

Psychologie der Weltanschauungen

selbst nicht weniger als anderen, bleibt. Äußerlich könnte hier eine Ähnlichkeit mit
der epikureischen Einstellung: s/co ovk C/ouai^ naheliegen. Doch in dieser genießen-
den Einstellung handelt es sich um die ganz formale Disziplinierung aus durchsichti-
gem Ziel. Hier in der religiösen Relativierung um ein Verhindern des Festlaufens und
Verabsolutieren eines Endlichen - und mag dies noch so großartig sein doch so, daß
alles ein Geheimnis bleibt, und daß gelebt wird, als ob diese endlichen Aufgaben ab-
solute wären. Am deutlichsten zeigt sich das Geheimnis, das Inkommunikable, weil
408 dem Menschen selbst Undurchsichtige, bei | äußersten Entschlüssen, z.B. beim Wa-
gen des Lebens. Hier kann niemand zureden, niemand sinnvollerweise gefragt wer-
den. Im Kommunikablen wird der bewußt verantwortliche Mensch hier, sofern er ge-
fragt wird, immer abraten. An den andern kann man nur rationale, im Endlichen selbst
durchsichtige Maßstäbe anlegen. Die Maßstäbe bei Handlungen, die das Wagnis des
Lebens bedeuten, sind absolut innere, nur vom Menschen selbst erfahrene, geheim-
nisvolle. Niemand, der sie erfährt, wird einen anderen fragen. So auch sonst bei Ent-
schlüssen, die über das Berechenbare und im Diesseits Durchsichtige hinausgehen;
man wird immer nur mit sich selbst, nie mit dem Anderen zu Rate gehen, und am we-
nigsten, wenn er fragt, solche Entschlüsse für ihn in Erwägung ziehen. Daraus folgt,
daß im Kommunikabeln entweder der Maßstab immer herabgesetzt wird, oder daß er
in phantastischem Mißverständnis suggeriert und in seinem Wesen entleert und ver-
dorben wird, oder - zuletzt - daß es vielleicht auch hier so etwas wie indirekte Mittei-
lung gibt.
Kierkegaard deutet das Christliche auf eine Weise, die historisch, was die Masse
der Bekenner betrifft, falsch sein mag, die aber innerhalb des Christentums eine Mög-
lichkeit bezeichnet, welche, jenseits der Grenze des wirklich Verstehbaren, doch ein
Faktum trifft, das hier umschrieben, wenn auch nicht durchdrungen wird. Der Ein-
zelne in seinem Verhältnis zu Gott stößt überall an das Paradoxe, das Absurde. Hat sein
Glaube Inhalte, so können diese selbst nur absurd sein. Sein ganzes Verlangen geht
darauf, daß er nur nichts Absurdes glaubt, das nachher doch noch zu verstehen ist;
sein Glaubensinhalt ist das endgültig Absurde; dies ist, daß Gott als Individuum, als
Mensch da ist: der Glaube an Jesus Christus als an Gott. Dazu kann nichts hinleiten,
das kann auf keine Weise plausibel gemacht, im Gegenteil immer nur als absurd auf-
gezeigt werden (oder es wird in bloßes Symbol spekulativ verwandelt nach Hegels
Technik: was dort in der Stufe der Vorstellung geglaubt wird, wird spekulativ in der
Stufe des Begriffs gewußt, verliert dann zwar die Absurdität, aber auch alles Spezifische
des Glaubens; so daß sich orthodoxe und echte Christen immer gegen Hegels Religi-
onsphilosophie gesträubt haben). Es muß dem Glaubenden von Gott selbst die »Be-
dingung« zum Glaubenkönnen gegeben werden, dazu kann er sich nicht durch eigene
Kräfte entwickeln. Daher »Gnade«, »Wiedergeburt« hier wesentliche Kategorien wer-
den. Verwässert lassen sich diese Kategorien auf alle Religiosität des »Einzelnen« über-
tragen, verlieren aber dann das Spezifische, das in der einen »Bedingung« liegt, die von
 
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