Psychologie der Weltanschauungen
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erscheint von hier aus als ein leeres Vorausnehmen dessen, was am Ende eines unend-
lichen Weges als Idee steht. Was uns in der Geschichte als »Mystik« begegnet, ist zu ei-
nem guten Teil solches »Vorwegnehmen«, zu einem Teil aber auch die Behütung und
Züchtung der Kräfte, die die kreisende Synthese gegen die völlige Entleerung in der
endlichen Gegenständlichkeit festhalten.
Der erste Typus ist auf höchstem Niveau repräsentiert etwa durch Laotse, manche
indische, orientalische und mittelalterliche Mystiker, in Entartung durch den blöden
hinduistischen Asketen | oder den stumpfsinnigen Athosmönch.611 Der zweite Typus,
der amystische Mensch, ist da vorhanden, wo die positivistische und rationalistische
Weltanschauung nicht bloß theoretisch, sondern wirklich ist und alle Erlebnisse man-
gelnder Subjekt-Objekt-Spaltung als abnorm und albern abgetan oder nicht beachtet
werden; der Typus wird notwendig unschöpferisch, mehr oder wenig mechanisch den-
ken, urteilen und bewerten, nach festen Maßstäben rationaler Formeln; er wird han-
deln nach dem Schema und erleben nur noch in primitivsten und dazu noch verach-
teten, wenn nicht als nützlich anerkannten Gefühlen. Er ist der Typus des brauchbaren,
leistungsfähigen Menschen, der nur versagt, wenn er über die Leistung hinaus Mensch
sein solL Vollkommen ist er nur, solange die Maschine nicht gestört wird und ihre nor-
malen Aufgaben findet. Der dritte Typus, der dämonische Mensch, ist der nie befrie-
digte, nie endgültig klare, der immer die höchsten Anforderungen an Lebendigkeit
hat, sich immer überwindet, immer anders wird, der sich treu ist, ohne rationalistisch
konsequent und ohne chaotisch unzuverlässig und zufällig zu sein. - Mystische Erleb-
nisse im weitesten, rein psychologischen Sinne mangelnder Subjekt-Objekt-Spaltung
haben alle drei Typen. Was sie sind, sind sie zu einem erheblichen Teil durch eine Welt-
anschauung der Wertung und Deutung, die in fortgesetzter Einwirkung eine ganz ver-
schiedene Züchtung und Prägung sowohl der mystischen Erlebnisse selbst wie des gan-
zen Menschen mit sich bringen. Die Stellung zu diesen Weltanschauungen und ihren
Konsequenzen beruht auf letzten Einstellungen und Entschlüssen.
Der Gegensatz der Weltanschauungen, die aus dem im weitesten Sinne »mystisch«
genannten Erlebnissen und Erfahrungen den eigentlichen Mystiker und den Ideen
entfaltenden dämonischen Menschen machen, oder die den Unterschied rational zum
Ausdruck bringen, der vielleicht in einer ursprünglichen Andersartigkeit der Erleb-
nisse mitbegründet ist, kann durch eine antithetische Gegenüberstellung von Plotin
und Kant illustriert werden. Von Plotin her ist der mystische Typus, von Kant her
der dämonische, ideenhafte Typus zu bejahen.
Plotin und Kant sind gewählt, nicht um ihnen historisch gerecht zu werden - sie
sind beide viel zu komplexe Erscheinungen, als daß die wenigen herausgegriffenen
Züge ihrer Lehren nicht ein historisch einseitiges und schiefes Bild geben müßten -,
sondern weil durch ihre Formeln sich die entgegengesetzte Richtung in der Verwer-
tung des Mystischen für das gesamte Leben verdeutlichen läßt, wie sie entgegenge-
setzte Deutungen der Welt zu einem Weltbild voraussetzen und wie daraus entgegen-
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erscheint von hier aus als ein leeres Vorausnehmen dessen, was am Ende eines unend-
lichen Weges als Idee steht. Was uns in der Geschichte als »Mystik« begegnet, ist zu ei-
nem guten Teil solches »Vorwegnehmen«, zu einem Teil aber auch die Behütung und
Züchtung der Kräfte, die die kreisende Synthese gegen die völlige Entleerung in der
endlichen Gegenständlichkeit festhalten.
Der erste Typus ist auf höchstem Niveau repräsentiert etwa durch Laotse, manche
indische, orientalische und mittelalterliche Mystiker, in Entartung durch den blöden
hinduistischen Asketen | oder den stumpfsinnigen Athosmönch.611 Der zweite Typus,
der amystische Mensch, ist da vorhanden, wo die positivistische und rationalistische
Weltanschauung nicht bloß theoretisch, sondern wirklich ist und alle Erlebnisse man-
gelnder Subjekt-Objekt-Spaltung als abnorm und albern abgetan oder nicht beachtet
werden; der Typus wird notwendig unschöpferisch, mehr oder wenig mechanisch den-
ken, urteilen und bewerten, nach festen Maßstäben rationaler Formeln; er wird han-
deln nach dem Schema und erleben nur noch in primitivsten und dazu noch verach-
teten, wenn nicht als nützlich anerkannten Gefühlen. Er ist der Typus des brauchbaren,
leistungsfähigen Menschen, der nur versagt, wenn er über die Leistung hinaus Mensch
sein solL Vollkommen ist er nur, solange die Maschine nicht gestört wird und ihre nor-
malen Aufgaben findet. Der dritte Typus, der dämonische Mensch, ist der nie befrie-
digte, nie endgültig klare, der immer die höchsten Anforderungen an Lebendigkeit
hat, sich immer überwindet, immer anders wird, der sich treu ist, ohne rationalistisch
konsequent und ohne chaotisch unzuverlässig und zufällig zu sein. - Mystische Erleb-
nisse im weitesten, rein psychologischen Sinne mangelnder Subjekt-Objekt-Spaltung
haben alle drei Typen. Was sie sind, sind sie zu einem erheblichen Teil durch eine Welt-
anschauung der Wertung und Deutung, die in fortgesetzter Einwirkung eine ganz ver-
schiedene Züchtung und Prägung sowohl der mystischen Erlebnisse selbst wie des gan-
zen Menschen mit sich bringen. Die Stellung zu diesen Weltanschauungen und ihren
Konsequenzen beruht auf letzten Einstellungen und Entschlüssen.
Der Gegensatz der Weltanschauungen, die aus dem im weitesten Sinne »mystisch«
genannten Erlebnissen und Erfahrungen den eigentlichen Mystiker und den Ideen
entfaltenden dämonischen Menschen machen, oder die den Unterschied rational zum
Ausdruck bringen, der vielleicht in einer ursprünglichen Andersartigkeit der Erleb-
nisse mitbegründet ist, kann durch eine antithetische Gegenüberstellung von Plotin
und Kant illustriert werden. Von Plotin her ist der mystische Typus, von Kant her
der dämonische, ideenhafte Typus zu bejahen.
Plotin und Kant sind gewählt, nicht um ihnen historisch gerecht zu werden - sie
sind beide viel zu komplexe Erscheinungen, als daß die wenigen herausgegriffenen
Züge ihrer Lehren nicht ein historisch einseitiges und schiefes Bild geben müßten -,
sondern weil durch ihre Formeln sich die entgegengesetzte Richtung in der Verwer-
tung des Mystischen für das gesamte Leben verdeutlichen läßt, wie sie entgegenge-
setzte Deutungen der Welt zu einem Weltbild voraussetzen und wie daraus entgegen-
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