Kants Ideenlehre
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nischer Kausalreihen ist. Die Maschine ist nun immer das nächste Analogon zum Or-
ganismus. Sie hat gegenüber jenen äußeren, mehr oder weniger willkürlichen
Erörterungen entstammenden Zweckzusammenhängen mit ihm gemeinsam die in-
nere Zweckmäßigkeit, die die Teile in bezug auf das Ganze haben. Bei der Maschine
durchschauen wir aber diese Zweckmäßigkeit restlos, da wir selbst sie gewollt und ge-
macht haben, die Zweckmäßigkeitszusammenhänge sind hier endlich, begrenzt. Beim
Organismus dagegen sind die Zweckzusammenhänge unendlich. Bei der Maschine -
und das hängt mit der Endlichkeit hier, der Unendlichkeit dort zusammen - ist das Be-
stehen der Zweckmäßigkeit dauernd von uns abhängig, die Maschine kann sich nicht
selbst helfen, die Teile bedingen wohl das Ganze, aber die Teile sind von uns, nicht von
dem Ganzen selbst allein zu erhalten. Im Organismus ist das Ganze so | gut Bedingung
der Teile wie umgekehrt, er hilft sich selbst. Die Zweckmäßigkeit des Organismus ist
also ein unendliches Problem. Soviel Zweckmäßigkeit man auch findet, jede gefun-
dene Zweckmäßigkeit führt zu weiteren Fragen, und es ist kein Ende denkbar. Versu-
chen wir uns etwa eine Maschine immer komplizierter zu denken, wir kämen nie zum
Organismus, denn die Maschine würde eben immer zu machen sein, und mag der
Zweckzusammenhang noch so riesenhaft werden, er bleibt endlich und bestimmt. Bis
zum Organismus wäre es immer noch ein Sprung. Die Erkenntnis des Organischen ist
immer Erkenntnis von zweckvollen Zusammenhängen, die Fragestellung immer te-
leologisch. Aber Erkenntnis wird immer nur konkret geschaffen, nicht durch allgemei-
nes Reden von trivialen Zweckmäßigkeiten, d.h. Erkenntnis des Organischen besteht
in der immer detaillierteren Erfassung mechanistischer Zusammenhänge als biolo-
gisch zweckmäßiger. Jede biologische Erkenntnis ist auf Grund teleologischer Frage-
stellung mechanistische Einsicht. Als regulatives Prinzip formuliert, würde die Idee
des Lebens lauten: Bleibe bei keinem Phänomen und bei keinem Vorgang im Organis-
mus stehen als bei einem bloß mechanisch-zufälligen, sondern frage unablässig nach
seinem Zweck; betrachte keinen Vorgang, kein Organ im Organismus als gleichgültig,
sondern sieh die Grenze deines bisherigen Wissens, die du unablässig überschreiten
sollst, in den Tatsachen, für die du keinerlei Zweckzusammenhänge erfaßt').636
Kants Formulierungen lauten z.B.: »Zu einem Dinge als Naturzwecke (d.h. einem
Dinge von innerer Zweckmäßigkeit im Gegensatz zur äußeren, relativen Zweckmäßig-
keit) wird ... erstlich erfordert, daß die Teile ... nur durch ihre Beziehung auf das Ganze
möglich sind. Denn das Ding selbst ist ein Zweck, folglich unter einem Begriffe oder ei-
ner Idee befaßt, die alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß. So-
fern aber ein Ding nur auf diese Art als möglich gedacht wird, ist es bloß ein Kunstwerk
(z.B. eine Maschine)"), d.i. das Produkt einer von der Materie desselben unterschiedenen
i Vgl. zum Organismus: B. 554ff., 716, 719 und vor allem die Kritik der Urteilskraft.
ü Zusätze des Verfassers, um den Sinn des Zusammenhanges des Zitats mit dem Texte, aus dem es
herausgerissen ist, festzuhalten.
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nischer Kausalreihen ist. Die Maschine ist nun immer das nächste Analogon zum Or-
ganismus. Sie hat gegenüber jenen äußeren, mehr oder weniger willkürlichen
Erörterungen entstammenden Zweckzusammenhängen mit ihm gemeinsam die in-
nere Zweckmäßigkeit, die die Teile in bezug auf das Ganze haben. Bei der Maschine
durchschauen wir aber diese Zweckmäßigkeit restlos, da wir selbst sie gewollt und ge-
macht haben, die Zweckmäßigkeitszusammenhänge sind hier endlich, begrenzt. Beim
Organismus dagegen sind die Zweckzusammenhänge unendlich. Bei der Maschine -
und das hängt mit der Endlichkeit hier, der Unendlichkeit dort zusammen - ist das Be-
stehen der Zweckmäßigkeit dauernd von uns abhängig, die Maschine kann sich nicht
selbst helfen, die Teile bedingen wohl das Ganze, aber die Teile sind von uns, nicht von
dem Ganzen selbst allein zu erhalten. Im Organismus ist das Ganze so | gut Bedingung
der Teile wie umgekehrt, er hilft sich selbst. Die Zweckmäßigkeit des Organismus ist
also ein unendliches Problem. Soviel Zweckmäßigkeit man auch findet, jede gefun-
dene Zweckmäßigkeit führt zu weiteren Fragen, und es ist kein Ende denkbar. Versu-
chen wir uns etwa eine Maschine immer komplizierter zu denken, wir kämen nie zum
Organismus, denn die Maschine würde eben immer zu machen sein, und mag der
Zweckzusammenhang noch so riesenhaft werden, er bleibt endlich und bestimmt. Bis
zum Organismus wäre es immer noch ein Sprung. Die Erkenntnis des Organischen ist
immer Erkenntnis von zweckvollen Zusammenhängen, die Fragestellung immer te-
leologisch. Aber Erkenntnis wird immer nur konkret geschaffen, nicht durch allgemei-
nes Reden von trivialen Zweckmäßigkeiten, d.h. Erkenntnis des Organischen besteht
in der immer detaillierteren Erfassung mechanistischer Zusammenhänge als biolo-
gisch zweckmäßiger. Jede biologische Erkenntnis ist auf Grund teleologischer Frage-
stellung mechanistische Einsicht. Als regulatives Prinzip formuliert, würde die Idee
des Lebens lauten: Bleibe bei keinem Phänomen und bei keinem Vorgang im Organis-
mus stehen als bei einem bloß mechanisch-zufälligen, sondern frage unablässig nach
seinem Zweck; betrachte keinen Vorgang, kein Organ im Organismus als gleichgültig,
sondern sieh die Grenze deines bisherigen Wissens, die du unablässig überschreiten
sollst, in den Tatsachen, für die du keinerlei Zweckzusammenhänge erfaßt').636
Kants Formulierungen lauten z.B.: »Zu einem Dinge als Naturzwecke (d.h. einem
Dinge von innerer Zweckmäßigkeit im Gegensatz zur äußeren, relativen Zweckmäßig-
keit) wird ... erstlich erfordert, daß die Teile ... nur durch ihre Beziehung auf das Ganze
möglich sind. Denn das Ding selbst ist ein Zweck, folglich unter einem Begriffe oder ei-
ner Idee befaßt, die alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß. So-
fern aber ein Ding nur auf diese Art als möglich gedacht wird, ist es bloß ein Kunstwerk
(z.B. eine Maschine)"), d.i. das Produkt einer von der Materie desselben unterschiedenen
i Vgl. zum Organismus: B. 554ff., 716, 719 und vor allem die Kritik der Urteilskraft.
ü Zusätze des Verfassers, um den Sinn des Zusammenhanges des Zitats mit dem Texte, aus dem es
herausgerissen ist, festzuhalten.
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