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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0524
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Kants Ideenlehre

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die zwei zu stellen: die Idee des Ganzen der erlebten und erlebbaren Phänomene oder
die Idee des Bewußtseins und vor allem die Idee des Ganzen der verständlichen Zusam-
menhänge oder die Idee der Persönlichkeit. Das Ganze der verständlichen Zusammen-
hänge ist nie gegeben; wir suchen aber im Verstehen über jeden verstehbaren Einzel-
zusammenhang hinauszugehen, als ob alles verständlich in einem ungeheuren
Ganzen verknüpft wäre. Diese Idee stößt jedoch auf Schwierigkeiten im einzelnen, auf
die Grenzen des Unverständlichen, das als endgültig unverständlich erscheint. Hier
setzen dann dem Seelischen gegenüber Betrachtungsweisen ein, die übereinstimmen
mit den Ideen des Organismus und Mechanismus, in diese aber die spezifisch psycho-
logischen Ideen aufnehmen und dadurch in neuer Gestalt erscheinen: z.B. die Idee des
psychophysischen Mechanismus und die Idee der Krankheitseinheitf). Um alle diese Ideen
entwickeln sich die typischen Hypostasierungen, und dann die fruchtlosen Streitig-
keiten, wie sie bei allen Hypostasierungen entstehen.
Schematisch würde es also drei beherrschende Erfahrungsrichtungen unter Ideen
geben: 1. Das Ganze der mechanistischen Erfahrung oder die Welt; darin kommt von
Seele, Persönlichkeit, von Organismus, Zweckmäßigkeit nichts vor; so etwas kann un-
ter dieser Idee nicht einmal konstatiert werden. Es wird nur sekundär, aus anderer
Sphäre her, dem mechanistischen Denken dargeboten und eingeordnet. 2. Das Ganze
der biologischen Erfahrung oder das Leben. 3. Das Ganze der verstehenden seelischen
Erfahrung oder die Persönlichkeit. Diese Ganzheiten treten zueinander in mannigfache
Beziehungen; | darauf weisen schon die wenigen Andeutungen über psychologische 170
Ideen hin. Darüber hinaus haben sie aber eine typische Tendenz, sich zu verabsolutie-
ren, die anderen auszuschalten und damit sich - was Kant als die unvermeidliche, im-
mer wieder kritisch aufzuhebende, aber nicht zu vernichtende Täuschung lehrt - zu
hypostasieren. Indem das Ganze der mechanistischen Erfahrung in den Kategorien Sub-
stanz, Kausalität usw. für das einzige Ganze erklärt wird, werden die tatsächlich in an-
deren Sphären entsprungenen Begriffe von Seele, Zweckmäßigkeit, Organismus auch,
und zwar restlos, in diese Kategorien gestellt. Sie werden als Wirkungen, als zufällige
Resultate, als Auslese unter kausalen Bedingungen, als an einzelnen Stellen der gan-
zen Erfahrung auftauchend, angesehen. Indem ferner das Ganze als Erfahrung vom Or-
ganismus genommen wird, bildet sich die Anschauung: das Organische bestehe eigent-
lich allein, das Anorganische sei bloßes Ausscheidungsprodukt. Ursprünglich sei etwa
unser Planet ein feuriger Organismus gewesen, jetzt habe das Organische sich auf die
einzelnen Organismen zurückgezogen, das übrige als Ausscheidungsprodukt zurück-
lassend. Indem schließlich die ganze Erfahrung für Erfahrung verstehbarer Persönlichkeit
gehalten wird, wird das Verstehen auf alles ausgedehnt, weit über das menschliche

Die eingehende Erörterung ist Sache einer allgemeinen Psychologie. Hier muß Hinweis und
Ortsangabe genügen, da es nicht auf das Einzelne als solches, sondern die Ideenlehre überhaupt
ankommt.
 
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