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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0531
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Kants Ideenlehre

Die Einheit der Erfahrung nennt Kant eine zweckmäßige und dem Gebrauch der Erfah-
rungen zur systematischen Einheit einen zweckmäßigen Gebrauch. Und da heißt es:
Wir können »von der Kenntnis der Natur selbst keinen zweckmäßigen Gebrauch in An-
sehung der Erkenntnis machen, wo die Natur nicht selbst zweckmäßige Einheit hingelegt
hat«1).651 Kant spricht in diesem Sinne von der »Zusammenstimmung der Natur zu un-
serem Erkenntnisvermögen«“).652 Ferner ist Kants Unterscheidung der technischen Ein-
heit von der architektonischen Einheit ein Beleg für die objektive Bedeutung der Ver-
nunftprinzipien. Die technische Einheit ist eine empirisch gewonnene nach zufällig
sich darbietenden Absichten, die architektonische dagegen eine a priorische, nicht em-
pirisch erwartete, nach Ideen. Erst durch diese ist Wissenschaft möglich''').653 »Ein ökono-
mischer Handgriff der Vernunft, um sich ... Mühe zu ersparen«, »ist sehr leicht von der
Idee zu unterscheiden, nach welcher jedermann voraussetzt, diese Vernunfteinheit sei
der Natur selbst angemessen, und daß die Vernunft hier nicht bettele, sondern
gebiete«'' ).654 Solche Sätze Kants lehren unzweifelhaft, daß er den Ideen objektive Bedeu-
tung in der urbildlichen Sphäre der Gegenstände selbst gab. Er spricht von der »objekti-
ven«, wenn auch »unbestimmten Gültigkeit« der Ideen an vielen Stellen, von der »ob-
jektiven Realität« derselben, »aber nicht um etwas zu bestimmen«.
Es ist kein Zweifel, daß der Aufbau der Dialektik (der Kritik der Vernunft) im Sinne
179 der Zerstörung der dogmatischen Metaphysik, also | negativ, angelegt ist, während der
Aufbau der Analytik (der Kritik des Verstandes) durchaus positiv ist. Alle Bemerkun-
gen über die positive Bedeutung der Ideen sind in Nebensatz und Anhang verwiesen.
Man könnte sich denken, daß der Gedankengehalt der Dialektik umgegossen wäre,
daß jene kritisch zerstörende Arbeit in den Anhang geriete, und der Aufbau geradezu
in Analogie zur Analytik des Verstandes einen zweiten positiven Teil bilde. Neben die
transzendentale Logik des Verstandes, die von der objektiven Bedeutung der Begriffe
handelt, tritt die transzendentale Logik der Vernunft, die von der objektiven Bedeu-
tung der Ideen handelt. Diese Parallele mit Kantischen Sätzen durchzuführen ist
durchaus möglich, wäre aber eine Spielerei' ).655
Wie sehr Kant in den Ideen etwas Objektives sah, dessen Art gegen die immerfort
damit zusammenhängenden Täuschungen sicherzustellen der eigentliche Sinn seiner
Lehre war, zeigt schließlich sein Bekenntnis zu Plato: »Plato bemerkte sehr wohl, daß

i B. 844.
ü Kritik der Urteilskraft S. 23 (diese Seite für die gegenwärtige Frage sehr wichtig).
üi B. 861.
iv B. 671.
v Einige Stellen mögen geordnet angeführt werden. In der Analytik folgen nacheinander: die Ab-
leitung der Kategorien am Leitfaden der Urteile, die transzendentale Deduktion, der Schematis-
mus, die Grundsätze. Dazu in Analogie: Ableitung der Ideen am Leitfaden der Schlußformen:
B. 356,361,368,378/379, 386/387,390 usw. Deduktion der Ideen: B. 697/698. Schema: B. 693, 702,
707, 710, 725. Das regulative Prinzip als Analogon der Grundsätze: B. 676.
 
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