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Stellenkommentar
sehe Autobiographie [1977], 85). Trotz mehrerer Lehrveranstaltungen zu Hegel hat Jaspers nie
über ihn publiziert. Im Briefwechsel mit Hannah Arendt ist zwar in den Jahren 1965/66 von
einem Publikationsvorhaben im Rahmen des zweiten Bandes der Großen Philosophen die Rede
(K. Jaspers an H. Arendt, Ende September 1965; 10. Januar 1966, in: H. Arendt, K. Jaspers: Brief-
wechsel, 644,653), was Hannah Arendt - wohl irrtümlicherweise - als »Hegel-Buch« interpre-
tierte (H. Arendt an K. Jaspers, 3. November 1966, in: ebd., 692). Eine publikationsreife Form
hat die Arbeit an dem Kapitel, das Jaspers unter der Rubrik »Die Gebäude der schöpferischen
Ordner: Aristoteles, Thomas, Hegel« führte, jedoch nicht mehr erreicht; es wurde posthum
von Hans Saner in K. Jaspers: Die großen Philosophen. Nachlaß 1,541-612 publiziert. Kierkegaard
hatte Jaspers auf Anregung seines Freundes Erich Frank bereits seit Juli 1914 ausführlich stu-
diert (vgl. L. Edelstein: »Erich Frank’s Work. An Appreciation«, in: E. Frank: Wissen, Wollen,
Glauben. Gesammelte Aufsätze zur Philosophiegeschichte und Existentialphilosophie, Zürich, Stutt-
gart 1955, 407-465, 419). Obwohl Kierkegaard ein maßgeblicher Impulsgeber seines späteren
existenzphilosophischen Konzepts war, hat Jaspers erst ab 1951 einige kleinere Texte über ihn
publiziert (vgl. »Kierkegaard. [Titelzusatz:] Vortrag im Baseler Pen-Club«, in: Basler Nachrich-
ten. Sonntagsblatt, Nr. n (18.3.1951) 41-44; »Kierkegaard. (Geboren am 5. März 1813, gestorben
am 11. November 1855)«, in: Die Gegenwart, Nr. 24 (19.11.1955) 759-762; »Kierkegaard heute«,
in: K. Jaspers: Aneignung und Polemik, 322-329). Jaspers plante, Kierkegaard in seinem Projekt
Die großen Philosophen als »großen Erwecker« zu behandeln (vgl. K. Jaspers: Die großen Philo-
sophen. Nachlaß 1, 416-476). Vgl. zur Kierkegaard-Lektüre von Jaspers ausführlich: KJG 1/8,
191-193. Die systematische Lektüre Nietzsches setzte etwas später ein. 1916 berichtet Jaspers
seinem Vater mit Blick auf die angekündigte Vorlesung »Nietzsche als Psychologe« (SS 1916)
von dem Vorhaben, mit Nietzsche »zum ersten Mal einen grossen Mann in seinen Werken
planmässig durch [zu] arbeiten und auf [zu] fassen« (K. Jaspers an C. Jaspers sen., 15. Februar
1916). Wenig später berichtet er: »Seit meinen Kantstudien habe ich kaum so sehr das Gefühl ge-
habt, wirklich weiter zu kommen. Obgleich ich oft in ihm las, lerne ich ihn jetzt doch erst wirk-
lich kennen. Es ist schwer zu sagen, woraus das Neue besteht: die volle Freiheit, die sonst kaum
so vollständige, nirgends Halt machende Wahrhaftigkeit, die Weite im Begreifen alles Mensch-
lichen, der tiefe Ernst, und vieles Andere. Es geht eine erziehende Wirkung von ihm aus, wie
ich sie analog sonst nicht kenne; aber nicht Erziehung für die Jugend, sondern für den Mann«
(K. Jaspers an Erna Dugend [geb. Jaspers], 11. April 1916). 1936 veröffentlichte Jaspers eine große
Nietzsche-Darstellung (Nietzsche. Einführungin das Verständnis seines Philosophierens, KJG I/18);
1938 hielt er den Vortrag »Nietzsche und das Christentum«, der 1946 unverändert publiziert
wurde. Bereits 1918 plante Jaspers neben der Publikation der Psychologie der Weltanschauungen
und einer »Allgemeinen Psychologie« auch ein Buch über »Kierkegaard und Nietzsche (eine
vergleichende Analyse)« (K. Jaspers an C. Jaspers sen., 22. Mai 1918). Zwar erschien nie ein Buch
diesen Titels, gleichwohl hat Jaspers seine Groninger Vorlesungen Vernunft und Existenz [1935]
mit einem Vortrag über »Herkunft der gegenwärtigen philosophischen Situation (Die ge-
schichtliche Bedeutung Kierkegaards und Nietzsches)« eröffnet (KJG 1/8,1-28).
14 Die Verwendung dieses Begriffs geht auf eine Anregung von Jaspers’ Schwager Ernst Mayer zu-
rück, der in einem Brief vom 8. Juli 1918 einige Korrekturvorschläge anjaspers geschickt hatte.
Auf einem Beiblatt heißt es: »>Die prophetische Weltanschauungslehre< besser: proph. Philo-
sophie, da doch Lehre mehr eine fixierte Doktrin ist, hier aber viele >Lehren< unter einem Ge-
sichtspunkt zusammengefaßt werden«. Ernst Mayer hatte von 1915 an Jaspers’ Arbeiten be-
gleitet, zuerst - nur retrospektiv - das später nicht mehr weiterverfolgte Publikationsprojekt
Stellenkommentar
sehe Autobiographie [1977], 85). Trotz mehrerer Lehrveranstaltungen zu Hegel hat Jaspers nie
über ihn publiziert. Im Briefwechsel mit Hannah Arendt ist zwar in den Jahren 1965/66 von
einem Publikationsvorhaben im Rahmen des zweiten Bandes der Großen Philosophen die Rede
(K. Jaspers an H. Arendt, Ende September 1965; 10. Januar 1966, in: H. Arendt, K. Jaspers: Brief-
wechsel, 644,653), was Hannah Arendt - wohl irrtümlicherweise - als »Hegel-Buch« interpre-
tierte (H. Arendt an K. Jaspers, 3. November 1966, in: ebd., 692). Eine publikationsreife Form
hat die Arbeit an dem Kapitel, das Jaspers unter der Rubrik »Die Gebäude der schöpferischen
Ordner: Aristoteles, Thomas, Hegel« führte, jedoch nicht mehr erreicht; es wurde posthum
von Hans Saner in K. Jaspers: Die großen Philosophen. Nachlaß 1,541-612 publiziert. Kierkegaard
hatte Jaspers auf Anregung seines Freundes Erich Frank bereits seit Juli 1914 ausführlich stu-
diert (vgl. L. Edelstein: »Erich Frank’s Work. An Appreciation«, in: E. Frank: Wissen, Wollen,
Glauben. Gesammelte Aufsätze zur Philosophiegeschichte und Existentialphilosophie, Zürich, Stutt-
gart 1955, 407-465, 419). Obwohl Kierkegaard ein maßgeblicher Impulsgeber seines späteren
existenzphilosophischen Konzepts war, hat Jaspers erst ab 1951 einige kleinere Texte über ihn
publiziert (vgl. »Kierkegaard. [Titelzusatz:] Vortrag im Baseler Pen-Club«, in: Basler Nachrich-
ten. Sonntagsblatt, Nr. n (18.3.1951) 41-44; »Kierkegaard. (Geboren am 5. März 1813, gestorben
am 11. November 1855)«, in: Die Gegenwart, Nr. 24 (19.11.1955) 759-762; »Kierkegaard heute«,
in: K. Jaspers: Aneignung und Polemik, 322-329). Jaspers plante, Kierkegaard in seinem Projekt
Die großen Philosophen als »großen Erwecker« zu behandeln (vgl. K. Jaspers: Die großen Philo-
sophen. Nachlaß 1, 416-476). Vgl. zur Kierkegaard-Lektüre von Jaspers ausführlich: KJG 1/8,
191-193. Die systematische Lektüre Nietzsches setzte etwas später ein. 1916 berichtet Jaspers
seinem Vater mit Blick auf die angekündigte Vorlesung »Nietzsche als Psychologe« (SS 1916)
von dem Vorhaben, mit Nietzsche »zum ersten Mal einen grossen Mann in seinen Werken
planmässig durch [zu] arbeiten und auf [zu] fassen« (K. Jaspers an C. Jaspers sen., 15. Februar
1916). Wenig später berichtet er: »Seit meinen Kantstudien habe ich kaum so sehr das Gefühl ge-
habt, wirklich weiter zu kommen. Obgleich ich oft in ihm las, lerne ich ihn jetzt doch erst wirk-
lich kennen. Es ist schwer zu sagen, woraus das Neue besteht: die volle Freiheit, die sonst kaum
so vollständige, nirgends Halt machende Wahrhaftigkeit, die Weite im Begreifen alles Mensch-
lichen, der tiefe Ernst, und vieles Andere. Es geht eine erziehende Wirkung von ihm aus, wie
ich sie analog sonst nicht kenne; aber nicht Erziehung für die Jugend, sondern für den Mann«
(K. Jaspers an Erna Dugend [geb. Jaspers], 11. April 1916). 1936 veröffentlichte Jaspers eine große
Nietzsche-Darstellung (Nietzsche. Einführungin das Verständnis seines Philosophierens, KJG I/18);
1938 hielt er den Vortrag »Nietzsche und das Christentum«, der 1946 unverändert publiziert
wurde. Bereits 1918 plante Jaspers neben der Publikation der Psychologie der Weltanschauungen
und einer »Allgemeinen Psychologie« auch ein Buch über »Kierkegaard und Nietzsche (eine
vergleichende Analyse)« (K. Jaspers an C. Jaspers sen., 22. Mai 1918). Zwar erschien nie ein Buch
diesen Titels, gleichwohl hat Jaspers seine Groninger Vorlesungen Vernunft und Existenz [1935]
mit einem Vortrag über »Herkunft der gegenwärtigen philosophischen Situation (Die ge-
schichtliche Bedeutung Kierkegaards und Nietzsches)« eröffnet (KJG 1/8,1-28).
14 Die Verwendung dieses Begriffs geht auf eine Anregung von Jaspers’ Schwager Ernst Mayer zu-
rück, der in einem Brief vom 8. Juli 1918 einige Korrekturvorschläge anjaspers geschickt hatte.
Auf einem Beiblatt heißt es: »>Die prophetische Weltanschauungslehre< besser: proph. Philo-
sophie, da doch Lehre mehr eine fixierte Doktrin ist, hier aber viele >Lehren< unter einem Ge-
sichtspunkt zusammengefaßt werden«. Ernst Mayer hatte von 1915 an Jaspers’ Arbeiten be-
gleitet, zuerst - nur retrospektiv - das später nicht mehr weiterverfolgte Publikationsprojekt