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über Chilas hinaus ausdehnen. Überschliffene Gesteinsrücken mit Auskolkungen entlang des Talgrundes,
zugerundete Bergrücken sowie Ablagerungen von Gletschern weisen auf die glaziale Überprägung hin.10
Die geologische Großgliederung11 um Chilas ist vergleichsweise einfach. Es gibt drei große geotektoni-
sche Einheiten in Nordpakistan: Die eurasische und die indische Kontinentalplatte sowie die Kohistan-Se-
quenz, ein ehemaliger Inselbogen, der innerhalb eines Ozeans durch plattentektonische Vorgänge im Me-
sozoikum entstand.
Ursache der Entstehung des Himalaya-Gebirges war die Kollision der indischen mit der eurasischen Plat-
te. Im Westhimalaya liegt der Inselbogen Kohistan noch zusätzlich zwischen diesen beiden Kontinental-
platten als geologische Einheit eingeklemmt. Das Gebiet um Chilas wird vom Chilas-Komplex, der zur
Kohistan-Sequenz gehört, aufgebaut und besteht vorwiegend aus Plutonen und Gneisen.
Verwerfungen und Gesteinsdeformationen sind Zeugen der tektonischen Aktivität, die heute noch an-
hält.12 In solchen Gebieten sind Erdbeben keine Seltenheit. Die anhaltende Hebung des Gebirges unter-
stützt die rasche Einschneidung und Tieferlegung des gesamten Flußsystems, was zu sehr tief eingeschnit-
tenen, sich eng an die geologischen Strukturen anlehnenden Tälern mit extrem hoher Reliefenergie13
führt.
Das derzeitige Wüstenklima14 im Chilas-Gebiet ist eher ein die Morphologie konservierendes Klima.
Geomorphologisch wirksame Faktoren im Industal sind dagegen Naturkatastrophen.15 So können zum
Beispiel durch Bergstürze, Gletschervorstöße oder Muren16 Flüsse hinter natürlichen Dämmen aufge-
staut werden. Der Wasserspiegel steigt hinter dem Damm, und wenn dieser dann bricht, wälzt sich eine
Flutwelle talabwärts. Allein in historischer Zeit wurden im Industal 17 Flutwellen nachgewiesen, die sogar
noch im Gebirgsvorland bei Attock eine Höhe von bis zu 30 Metern erreichten.17 Die Felsrücken, die
man heute im Überschwemmungsbereich des Indus findet, wurden wohl alle durch derartige Ereignisse
exhumiert.18
Auslöser für Massenbewegungen, z.B. Felsstürze und Muren, sind häufig starke Niederschläge. So be-
schreibt Hewitt19 ein außergewöhnliches Niederschlagsereignis, das vom 9. auf den 10. September 1992
stattfand und sich über die ganze Region ausbreitete. In diesen zwei Tagen wurde in Chilas eine Nieder-
schlagsmenge von 94 mm gemessen; das entspricht mehr als der Hälfte des Gesamtjahresniederschlages
in diesem Gebiet. In einer nahegelegenen Tallandschaft konnten allein auf einer Talseite 86 Massenbe-
wegungen, die durch diese Niederschläge ausgelöst wurden, gezählt werden. Mehr als eine Woche nach
dem Unwetter war die Morphodynamik noch eklatant. Kein Zufall also, daß die Gebirgszüge und Talfül-
lungen zahlreiche tiefe Erosionsrinnen (Gullies) aufweisen. Mit Unwettern solchen Ausmaßes muß - so
Hewitt - alle 50 Jahre gerechnet werden. Unwetter geringeren Ausmaßes treten dagegen häufiger auf.

10 Zur Vergletscherungsgeschichte des Gebietes vgl. KUHLE 1997; SHRODER 1989: 571f.
11 Ausführliche Untersuchungen zur Geologie und Tektonik des Karakorums bei SEARLE 1991; WADIA 1932; TAHIR-
KHELI/Jan 1984.
12 Coward u.a. 1984: 71-85.
13 Der Karakorum gilt als die Region mit der höchsten Reliefenergie der Erde (BRUNSDEN/JONES 1984: 359).
14 Mit relativ geringen Schwankungen umfaßt das derzeitige Klima mindestens den Zeitraum der letzten 5000 Jahre.
15 BRUNSDEN/JONES (1984: 359) betonen die Bedeutung katastrophaler Ereignisse für die rezente Landformung in diesem
Gebiet, vgl. dazu auch SHRODER 1993.
16 Schlammströme, deren Abgang durch eine hohe Variabilität der Niederschläge mit Starkregenereignissen nach langen Aus-
trocknungsphasen begünstigt wird.
17 SHRODER 1989: 569f.
18 Ablagerungen, die die Felsen bedeckten, wurden bereits wieder abgetragen.
19 Hewitt 1993: 371ff.
 
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