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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0040
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Stellenkommentar GT Versuch, KSA 1, S. 12-13 19

Auftrittsmonolog Fausts und dann weiterhin in der sog. ,Gelehrten-Tragödie‘
seines Faust hatte Goethe das „Problem der Wissenschaft“ im großen Stil the-
matisiert. Wagner hatte in seiner Schrift Das Kunstwerk der Zukunft in dem
Kapitel,Leben, Wissenschaft und Kunst4 die Wissenschaft zugunsten
des Lebens und der Kunst radikal abgewertet. „Die Wissenschaft“, so schreibt
er (GSD III, 45), „trägt somit die Sünde des Lebens, und büßt sie an sich durch
Selbstvernichtung: sie endet in ihrem reinen Gegensätze, in der Erkenntniß
der Natur, in der Anerkennung des Unbewußten, Unwillkürlichen, daher Noth-
wendigen, Wirklichen, Sinnlichen [...] Das Ende der Wissenschaft ist das
gerechtfertigte Unbewußte [...] Ist nun die Auflösung der Wissenschaft die
Anerkennung des unmittelbaren, sich selbst bedingenden, also des wirklichen
Lebens schlechtweg, so gewinnt diese Anerkenntniß ihren aufrichtigsten
unmittelbaren Ausdruck in der Kunst, oder vielmehr im Kunstwerk“.
13, 22 voller psychologischer Neuerungen] Auch in seinen anderen Spätschrif-
ten bescheinigt sich N. einen besonderen Rang als Psychologe. In Ecce homo
beginnt das 5. Kapitel des Abschnitts Warum ich so gute Bücher schreibe mit
dem Satz: Dass aus meinen Schriften ein Psychologe redet, der nicht
seines Gleichen hat, das ist vielleicht die erste Einsicht, zu der ein guter Leser
gelangt - ein Leser, wie ich ihn verdiene“ (KSA 6, 305, 7-10). In dem Abschnitt
Die Geburt der Tragödie (1. Kapitel) in Ecce homo heißt es, das Erstlingswerk
gebe mit dem „Verständniss des dionysischen Phänomens“ auch „dessen
erste Psychologie“ (KSA 6, 310, 16 f.).
13, 23 f. mit einer Artisten-Metaphysik im Hintergründe] Schon in GT hatte N.
von der „aesthetischen Metaphysik“ gesprochen (43, 32), die er mit seiner
Schrift biete, und davon, daß „die dionysische Kunst“, indem sie uns „die
ewige Lust des Daseins“ nicht in den Erscheinungen, „sondern hinter den
Erscheinungen“ suchen heißt (109, 2-4), im Augenblick des Kunsterlebnisses
einen „metaphysischen Trost“ schenke. Bereits im Vorwort an Richard Wagner
hatte er die Kunst als die höchste Aufgabe und die eigentlich metaphysische
Tätigkeit dieses Lebens bezeichnet (24, 14 f.).
13, 28 trotz seines greisenhaften Problems] Des Problems einer „Wissen-
schaft“, die aufgrund ihrer spätzeitlichen Züge „greisenhaft“ erscheint.
13, 29 f. ihrem „Sturm und Drang“] Anspielung auf die literarische Jugendbe-
wegung, die in den Siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts gegen die normativen
literarischen und gesellschaftlichen Vorstellungen rebellierte. Sie berief sich
im Gefolge Rousseaus auf die „Natur“ und feierte die spontane, nicht mehr
von vorgegebenen Regeln geleitete Schöpferkraft des „Genies“. Tatsächlich
hatte sich der junge N. in GT auf den „Sturm und Drang“ berufen, insbesondere
 
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