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Stellenkommentar GT 11, KSA 1, S. 75-76 227

N. war insgesamt an der Gattung Komödie wenig interessiert, weil Aristo-
phanes relativ selten und wenn, dann auf burlesk-despektierliche Weise die
für die Tragödie zentralen mythischen Stoffe gestaltet und statt dessen imagi-
näre und phantastische Handlungen bevorzugt. Die Mittlere Komödie favori-
sierte sogar die Mythentravestie. Von den vielen hundert Stücken der Mittleren
und der Neueren Komödie sind nur wenige überliefert, zu N.s Zeit noch keine
einzige vollständig. Gar nicht in den Blick kommen bei ihm wiederum die
historischen Bedingungen: Während im 5. Jahrhundert die Tragödien-Auffüh-
rungen eine feste Funktion in der Poliskultur hatten und der Chor in der athe-
nischen Demokratie als Vertreter des Volks, des Demos, verankert war - kei-
neswegs bloß als musikalisches Phänomen wie N. meint -, ist nach dem
Niedergang der Poliskultur seit dem Peloponnesischen Krieg und dann voll-
ends nach dem Sieg Philipps von Makedonien über die Athener in der Schlacht
bei Chaironeia (338 v. Chr.) nicht mehr die gemeinschaftsbildende mythische
und chorische Tradition wichtig; an ihre Stelle treten nun individuell erfahr-
bare Alltagsprobleme, psychologisierte Verhaltensmuster und Charakterzüge.
76, 12-16 Wunsch des Philemon [...], der sich sogleich aufhängen lassen
mochte, nur um den Euripides in der Unterwelt aufsuchen zu können: wenn er
nur überhaupt überzeugt sein dürfte, dass der Verstorbene auch jetzt noch bei
Verstände sei.] Neben dem Athener Menander gilt dessen erfolgreicher Rivale
Philemon von Syrakus (etwa 361-262 v. Chr.) als bedeutendster Vertreter der
Neuen Komödie. In seinem langen Leben schrieb er 97 Komödien, von denen
heute noch 64 Titel bekannt, aber nur 200 Fragmente überliefert sind. Einen
Eindruck von seiner Dramatik vermitteln mehrere Adaptationen durch den
römischen Komödiendichter Plautus (Mercator, Trinummus, Mostellaria). Schon
Wilamowitz (S. 25, bei Gründer, 1969, S. 48 f.) kritisierte N.s tendenziöse Ent-
stellung des von Philemon anekdotisch berichteten Wunsches, dem Euripides
in der Unterwelt zu begegnen. Exakt übersetzt lauten die in den antiken Euripi-
des-Biographien überlieferten und später wegen ihrer Beliebtheit in die Antho-
logia Palatina eingegangenen Verse des Philemon, in denen er einen Verehrer
des Euripides seinen Wunsch aussprechen läßt: „Wenn aber die Toten tatsäch-
lich, wie manche sagen, ihr Männer, noch wahrnehmungsfähig wären, würde
ich mich aufhängen, um den Euripides zu sehen“ (ei Taiq äApOEiaimv oi
TEÖvpKÖTEq / aioönoiv e’ixov» avöpcc;, toq cpaaiv Tivcq, / ünpy^äppv äv war’
iÖEiv Evpmiöriv, PCG VII, S. 118 Kassel-Austin = Frg. 130 Kock). Im Herbst 1869
exzerpierte N. aus A. W. Schlegels Vorlesungen dessen - richtige - Übersetzung
(NL 1869, KSA 7,1[91], 38,15-17): „Der Komiker Philemon sagt ,wenn die Todten
in der That noch Empfindung hätten, wie einige meinen, so ließe ich mich
aufhängen, um den Euripides zu sehen“4 (A. W. Schlegel: Kritische Schriften
und Briefe, hg. v. Edgar Löhner, Bd V: Vorlesungen über dramatische Kunst und
 
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