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Stellenkommentar GT 11, KSA 1, S. 76 229

sehen des Aristophanes. Darin heißt es (V. 1011 f.), Euripides habe „aus tüchti-
gen und edlen Menschen ganz armselige gemacht“ (ek xprcftcov Kai yswaicov
poxOppoTÖtTouq änsösi^aq). Das Gegenbild läßt Aristophanes - wiederum nicht
ohne karikierende Absicht - den Aischylos von sich selbst entwerfen (V.
1013 ff.): „So betrachte die Menschen, in welcher Gestalt von mir er zuerst sie
bekommen: / Grundedler Natur, vierschrötig und stark, nicht Hasenpanierpa-
trioten, / Nicht Pflastertreter und Gaukler wie jetzt, Klatschweiber, durchtrie-
bene Schelme, / Nein: Speerwucht schnaubend und Lanzengewalt, weißbu-
schige Pickelhauben, / Beinschienen und Panzer und Waffengeklirr und
,siebenstierhäutigen4 Kriegsmut!“ (Übers. Seeger). Dementsprechend wird in
den Fröschen (V. 1021 f.) das Heldentum in der Tragödie des Aischylos, der
selbst noch in der siegreichen Schlacht von Marathon mitgekämpft hatte, mit-
samt der pathetisch erhabenen Sprache gepriesen, wogegen Euripides als
Repräsentant einer nichtheldischen Zeit abfalle. N. war in der Zeit, in der GT
entstand, durch Carlyles Buch On Heroes, Hero-Worship, and the Heroic in His-
tory sowie von Emersons Representative Men beeindruckt. In diesem zeitgenös-
sischen Kontext, zu dem auch der längst literarisierte Napoleonkult des
19. Jahrhunderts gehört, erhält das Thema „Helden“, das N. in GT am Beispiel
der „tragischen Helden“ vor Euripides mit archaisierender und antimoderner
Tendenz traktiert, seine Aktualität. Der „Held“ als „großer“ Einzelner war das
romantisch regressive Gegenbild angesichts der zum ,Realismus4 tendierenden
bürgerlichen Durchschnittswelt des 19. Jahrhunderts und der infolge der
Industrialisierung heraufkommenden Massenzivilisation. „Die Massen“, erklärt
N. in der wenig später erschienenen Schrift Vom Nutzen und Nachtheil der
Historie für das Leben, „scheinen mir nur in dreierlei Hinsicht einen Blick
zu verdienen: einmal als verschwimmende Copien der grossen Männer, auf
schlechtem Papier und mit abgenutzten Platten hergestellt, sodann als Wider-
stand gegen die Grossen und endlich als Werkzeuge der Grossen; im Uebrigen
hole sie der Teufel und die Statistik!“ (KSA 1, 320, 3-9).
76, 30-34 Odysseus, der typische Hellene der älteren Kunst, sank jetzt unter
den Händen der neueren Dichter zur Figur des Graeculus herab, der von jetzt
ab als gutmüthig-verschmitzter Haussclave im Mittelpunkte des dramatischen
Interesse’s steht.] N. übergeht hier zunächst den Gattungsunterschied zwischen
Tragödie und Komödie und die daraus resultierende, jeweils grundsätzlich
andere Darstellung von Gestalten der Mythologie. Nur entheroisiert kommen
sie für komische Rollen in Frage. Sodann stellt er irreführend einen tiefreichen-
den Unterschied zwischen der Gestaltung des Odysseus in der „älteren Kunst“
und bei Euripides sowie den späteren Komödiendichtern her, denn schon vor
Euripides schwärzt sich die Gestalt des Odysseus ein. Sophokles zeichnet in
seinem Philoktet Odysseus als Negativ-Figur, ja geradezu als skrupellos intrigie-
 
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