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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0327
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306 Die Geburt der Tragödie

genden Denkens werden. 3) Die Vergleichung dieser Begriffe, theils mit dem
Angeschauten, theils unter sich, theils mit dem übrigen Vorrath von Begriffen;
so daß richtige, zur Sache gehörige und diese vollständig befassende und
erschöpfende Urtheile daraus hervorgehen: also richtige Beurtheilung
der Sache. 4) Die Zusammenstellung, oder Kombination dieser Urtheile zu
Prämissen von Schlüssen“ (Frauenstädt, Bd. 3, S. 131). N. sieht in der Logik
des Aristoteles einen wesentlichen Ausgangspunkt des von ihm attackierten
Logozentrismus.
Indem N. vom „Mechanismus“ der Begriffe, Urteile und Schlüsse spricht
und damit den in 94,13 verwendeten Ausdruck „logischer Schematismus“ vari-
iert, greift er auf eine Bezeichnung Schopenhauers zurück. Dieser handelt im
Kapitel ,Zur Syllogistik4 der Welt als Wille und Vorstellung vom „Mechanismus
des Schließens“ (Zweiter Band, Erstes Buch, 10. Kapitel, Frauenstädt S. 120).
Auch den Ausdruck (logischer) „Schematismus“ konnte er in Schopenhauers
Hauptwerk finden. Dort heißt es im Ersten Band, § 9, S. 53, im Hinblick auf
die Syllogistik: „Diesen Schematismus der Begriffe, der schon in mehreren
Lehrbüchern ziemlich gut ausgeführt ist, kann man der Lehre von den Urthei-
len, wie auch der ganzen Syllogistik zum Grunde legen, wodurch der Vortrag
Beider sehr leicht und einfach wird“. Es gibt allerdings einen wesentlichen
und bezeichnenden Unterschied zwischen Schopenhauers und N.s Darstellung
von Logik und Syllogistik. Schopenhauer stellt Logik und Syllogistik differen-
ziert dar und würdigt sie trotz ihrer Beschränkung auf die formalen Funktio-
nen. Aristoteles hatte die später im sog. ,Organon4 zusammengefaßten Schrif-
ten, zu denen die mit Logik und Syllogistik befaßten Abhandlungen (vgl. die
Übersichten bei Flashar S. 220-225), vor allem die Topik und die beiden Analy-
tiken gehören, als Hilfsmittel zur Gewinnung von Schlüssen bezeichnet
(öpyavot, Topik 113-18). N. dagegen nimmt den „logischen Schematismus“ und
den syllogistischen „Mechanismus“ ins Visier, um das als „Sokratismus“ eti-
kettierte rationale Denken insgesamt anzugreifen. Mit dieser totalisierenden
Abwertung folgt er Wagners Abneigung gegen das „Logisiren“ und gegen die
„Wissenschaft“ überhaupt.
Hegel hatte in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie nicht
nur eine gründliche Würdigung des Aristoteles gegeben, sondern auch die
Logik und die Syllogistik gerühmt: „Er ist als der Vater der Logik angesehen
worden; seit Aristoteles’ Zeiten hat die Logik keine Fortschritte gemacht. Diese
Formen teils über Begriff, teils über Urteil, Schluß kommen von Aristoteles her
[...] Indem sie ein Bewußtsein über die abstrakte Tätigkeit des reinen Verstan-
des (nicht Wissen von diesem und jenem Konkreten), reine Form ist, so ist dies
Bewußtsein in der Tat bewundernswürdig und noch bewundernswürdiger in
dieser Ausbildung dieses Bewußtseins - und ein Werk, das der Tiefe des Erfin-
 
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