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Stellenkommentar GT 15, KSA 1, S. 100-101 307

ders, der Stärke seiner Abstraktion die höchste Ehre macht“ (G. W. F. Hegel:
Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II, Bd. 19 der Theorie Werkaus-
gabe, Frankfurt 1971, S. 229).
Daß der „Mechanismus“ des syllogistischen Verfahrens als „höchste
Bethätigung und bewunderungswürdigste Gabe der Natur über alle anderen
Fähigkeiten geschätzt wurde“ - eine bis in die Wortwahl reichende Anspielung
auf Hegels Aristoteles-Würdigung -, ist eine interessengelenkte Behauptung,
die dem Ziel dient, nicht nur die Logik abzuwerten, sondern auch insgesamt
die „Theorie“ und die Auszeichnung des theoretischen Menschen durch Aristo-
teles in Frage zu stellen. Zu den berühmten Ausführungen des Aristoteles über
die Theorie vgl. die in NK 98,11-23 enthaltenen Stellen aus der Nikomachischen
Ethik, Buch X, Kapitel 7, sowie das darauf folgende Kapitel 8 (1178 bl-5), das
darlegt, daß dem theoretischen Menschen (OccopouvTi) alles Praktische (TÖtq
npöt^Eiq) eher hinderlich sei, und das mit der Feststellung endet, die Theorie
habe ihren hohen Wert in sich selbst, sodaß die Glückseligkeit selbst eine Art
von Theorie sei (avTp ydp Ka0' aÜTpv Tipia. war' Eip äv p Evöaipovia Occopia
Tiq 1178b 31-2). In der Metaphysik heißt es lapidar (XII 7, 1072b 24): p ÖEtüpia
TÖ pöioTov Kai apiarov -„die Theorie ist das Angenehmste und das Beste“.
Diese Aussage geht vom Gedanken der Autarkie aus, die den Göttern und in
vergleichbarer Weise dem Geist zukommt, der ganz aus sich selbst und für sich
selbst besteht, ja „sich selbst denkt, indem er das Denkbare ergreift“ (aÜTÖv
öe vosi ö voüq Kara psTäApipiv toü vopTOÜ; Metaphysik XII 7, 1072b, 19-20).
101, 3-5 jene schwer zu erringende Meeresstille der Seele, die der apollinische
Grieche Sophrosyne nannte] yaApvi}, die „Meeresstille“, meint Homer in der
Odyssee noch im konkreten Sinn, später aber wird das Wort auch im übertrage-
nen Sinn verwendet und, so in der Elektra des Sophokles, V. 899, insbesondere
auf einen seelischen Zustand bezogen. In Platons Nomoi, 791a heißt es:
yaAfivpv pauxlav te ev tt) tpvxn (paivsoöai änspyaoapsvri Tpq nspi Ta Tpq
Kapöiaq x^^npq ysvopsvpq - „nachdem (Meeres-)Stille und Ruhe dem Herz-
klopfen abgewonnen wurde“. Indem N. dann vom „apollinischen“ Griechen
spricht, meint er die Phase vor dem von ihm so genannten „Sokratismus“.
Sophrosyne, „Besonnenheit“ („Mäßigung“, „Selbstbeherrschung“), ist für die
Griechen eine der Grundtugenden. Durch Platons Politeia sind die Kardinaltu-
genden Klugheit (phronesis, prudentia), Besonnenheit (sophrosyne, temperan-
tia), Tapferkeit (andreia, fortitudo) und Gerechtigkeit (dikaiosyne, iustitia) kano-
nisch geworden. In den Aufzeichnungen zu seiner Vorlesung Einleitung in das
Studium der platonischen Dialoge stellt N., ausgehend von der Politeia, die vier
Haupttugenden ausführlich dar (KGW II 4, 175-180). Alle vier Kardinaltugen-
den zusammen nennt Platon schon im Phaidon (69a 10-b3) inmitten einer
größeren Partie, die besonders dem Wesen der Sophrosyne gilt. Im Symposion
 
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