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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0069
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Überblickskommentar, Kapitel 1.5: Rezeption 43

wirklich energischen, von großer Begabung getragenen Quell hervorsprudelt,
so kann die Ausbildung seines Atheismus zu einer folgenreichen Krisis führen“
(zitiert nach Hauke Reich 2013, 362). Hoffmanns Zweifel an N.s Befähigung
dazu werden allerdings zuvor bereits in der Feststellung evident, N. weise „die
gleiche Impotenz“ wie Strauß insofern auf, als auch er „allenfalls zerstören“
kann, wenn „er so fortfährt“, wie er mit UB IDS „angefangen hat“: „aber bau-
en kann er nichts“ (ebd., 336).
Überdies ist zu beachten, dass die „Krisis“, mit der Hoffmann im Zusam-
menhang mit dem „Atheismus“ hypothetisch argumentiert, für ihn - anders,
als es N. suggeriert - keineswegs das eigentliche Telos darstellt, sondern ledig-
lich ein notwendiges Durchgangsstadium auf dem Weg zum „Gottesreich“
(ebd., 363). Bezeichnenderweise versucht sich Hoffmann - im Rahmen seiner
konkreten Auseinandersetzung mit einer subversiven Reflexion in UB I DS (vgl.
NK188, 2-6) - dann sogar selbst an einem Gottesbeweis (vgl. Hauke Reich
2013, 337-338). Auf den forcierten Atheismus, den N. nach Hoffmanns Ansicht
vielleicht entscheidend fördern könnte, kommt es - jedenfalls dem Rezensen-
ten zufolge - also nur aus einem Grund an: „je consequenter [...] der negative
Grundgedanke der Geistlosigkeit des Weltprincips ausgeführt“ wäre, desto
„einleuchtender [...] würde sich solches System [...] im Ganzen ad absurdum
führen“ (ebd., 362-363). Hoffmanns Schlussplädoyer zielt dann signifikanter-
weise auf die christliche Utopie, „die Menschheit von Innen heraus zu Einem
Gottesreich zu einigen“ (ebd., 363). - Fundamental unterscheiden sich N.s Mo-
tive zur Kritik an David Friedrich Strauß mithin von den religiösen Wertungs-
prämissen Hoffmanns, der von Strauß prinzipiell destruktive Wirkungen auf
die Kirche ausgehen sieht: „Daß Strauß erklärt, keine Kirche zerstören zu wol-
len, ist nur Heuchelei. Er hat nicht bloß zerstört und zerstört noch, sondern er
wollte und will auch zerstören, nur soll das für ihn so ungefährlich und so
bequem als möglich abgehen“ (ebd., 336).
Zwar verdient N.s Kritik an Strauß laut Hoffmann „große Beachtung“ als
„eine Art Manifest der Schopenhauerschen Schule gegen die Hegelsche“ (ebd.,
332). Und darüber hinaus goutiert Hoffmann, der Strauß „in seiner letzten
Schrift zur vollen Unphilosophie herabgesunken“ sieht (ebd., 340), durchaus
auch die auf ANG bezogene Stilkritik N.s (ebd., 359). Aber zugleich äußert er
nachdrückliche Vorbehalte gegenüber N.s Kulturkritik in UB I DS, etwa wenn
er konstatiert, man könne „nur mit vollkommenem Unrecht behaupten, daß in
Deutschland der reine Begriff der Cultur verloren gegangen sei“ (ebd., 334).
Zudem stellt Hoffmann die von N. behauptete philiströse Selbstzufriedenheit
der Gelehrten in Frage (ebd., 334-335) und beanstandet (zu Recht) auch „die
platteste Auslegung“ der These „Hegels von der Vernünftigkeit alles Wirkli-
chen“ in UB I DS (ebd., 335). (Zu dieser von N. missverstandenen Aussage aus
 
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