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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0072
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46 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

,Grenzboten4; ich hatte Mühe, die entrüsteten Basler von Schritten abzuhalten“
(KSA 6, 317, 22-24). - Eine weitreichende Umdeutung der Realität im Dienste
euphorischer Selbststilisierung bestimmt vor allem die Erfolgssuggestion, mit
der N. in Ecce homo den Abschnitt über seine Unzeitgemässen Betrachtungen
einleitet: „Von diesen vier Attentaten hatte das erste einen ausserordentlichen
Erfolg. Der Lärm, den es hervorrief, war in jedem Sinne prachtvoll“ (KSA 6, 317,
7-9). Und im letzten Absatz seiner Retrospektive auf UBI DS in Ecce homo er-
klärt N.: „Die Nachwirkung dieser Schrift ist geradezu unschätzbar in meinem
Leben. Niemand hat bisher mit mir Händel gesucht. Man schweigt, man behan-
delt mich in Deutschland mit einer düstern Vorsicht“ (KSA 6, 318, 31-34).
Die englischsprachige, anonym publizierte Sammelrezension Contempora-
ry Literature. Theology and Philosophy (in: Westminster Review and Foreign
Quarterly Review, Bd. 47, Nr. 2, 1. April 1875), die in der Dokumentation von
Hauke Reich abgedruckt ist (vgl. Reich 2013, 527-530), geht nicht nur auf
UB I DS, sondern auch auf UB II HL und UB III SE ein. Diese Sammelrezension
würdigt das in der Theologie einflussreiche Werk Das Leben Jesu von David
Friedrich Strauß, einem „truth-loving, high-hearted man“ (zitiert nach Reich
2013, 529), und hebt die Reputation des Autors hervor: „Surely Strauss’s ample
knowledge, his penetrating sagacity, his devotion to art, his love of poetical
composition, his biographical productivity, should have exempted him from
inclusion in the circle of men of narrow parochial minds and cittish tastes, to
whom the term Philistine would appropriately applied“ (ebd., 529). Wenn in
der Rezension Strauß’ „noble and necessary work“ betont wird, dann ist mit
dieser positiven Wertung auch „the little work entitled ,The Old and New
Faith4“ mitgemeint (ebd., 529). Die Kritik an UB I DS zielt darauf, dass N.
Strauß’ ANG zu Unrecht diffamiere, und dies sogar „in a bitter and denunciato-
ry spirit“ (ebd., 529). - N. berichtet seinem Freund Carl von Gersdorff am 8. Mai
1875 in einem Brief über diese Rezension: „In der Westminster-Review ist ein
grösserer Aufsatz über meine 3 ersten Unzeitgemässen, höre ich, er soll ziem-
lich wüthend sein. Doch freut’s mich, dass Engländer mich lesen“ (KSB5,
Nr. 443, S. 48).
Hinsichtlich der zeitgenössischen Rezeption von UB I DS zieht N. selbst ein
vorläufiges Fazit, wenn er Richard Wagner am 18. September 1873 in einem
Brief mitteilt: „Mein erstes Heft hat hier eine unbeschreibliche Wirkung ge-
than; eine toll-feindselige Zeitungslitteratur ist gegen mich entstanden, aber
gelesen hat es Jedermann“ (KSB 4, Nr. 313, S. 157). Zugleich denkt N. bereits
über eine „zweite ,Zeitungemässheit4 nach“ (ebd.). - Hauke Reich resümiert
N.s Einstellung zu den Besprechungen seiner Werke insgesamt folgenderma-
ßen: „Nietzsches anfänglicher Stolz über öffentliche Rezensionen seiner Bü-
cher wich im Laufe der Jahre einer zunehmenden Ernüchterung durch eine
 
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