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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0274
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248 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

17-24. N. betont, dass Strauß auf die „Grösse“ von Bismarck und Moltke ver-
weist, um dann aus ANG zu zitieren: „Da müssen nun doch auch die steifna-
ckigsten und borstigsten unter jenen Gesellen sich bequemen, ein wenig auf-
wärts zu blicken, um die erhabenen Gestalten wenigstens bis zum Knie in Sicht
zu bekommen“ (199, 26-32). In diesem Zusammenhang unterstellt N. Strauß
„Furcht [...] vor den Socialdemokraten“ (199, 25-26). Vgl. auch N.s Exzerpte aus
ANG (KGW III 5/1), S. 355.
241, 32-33 wenn aber der Purpur fällt, muss auch der Herzog nach] Hier zitiert
N. eine Stelle aus Friedrich Schillers Drama Die Verschwörung des Fiesko zu
Genua (5. Aufzug, 16. Auftritt): „Verrina mit fürchterlichem Hohn: Nun wenn der
Purpur fällt, muß auch der Herzog nach“ (Schiller: FA, Bd. 2, 440). Mit diesen
Worten stürzt Varrina Fiesco ins Meer.
242, 4-6 „von eben so viel subjectiver Wahrheit als ohne jede
objective Beweiskraft sein“] Vgl. dazu Strauß’ ANG 125, 8-17: „Drei Jah-
re vor seinem Tode äußerte Goethe gegen Eckermann [am 4. Februar 1829]:
,Die Ueberzeugung unsrer Fortdauer entspringt mir aus dem Begriff der Thätig-
keit; denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflich-
tet, mir eine andre Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinem
Geiste nicht ferner auszuhalten vermag/ [sic: obsolete Wendung] Gewiß ein
großes und schönes Wort, von ebensoviel subjectiver Wahrheit im Munde des
bis zum letzten Lebenstage rastlos thätigen Dichtergreises, als ohne jede objec-
tive Beweiskraft.“
242, 9-11 So lange nämlich das noch als unzeitgemäss gilt, was immer an der
Zeit war und jetzt mehr als je an der Zeit ist und Noth thut - die Wahrheit zu
sagen] Mit diesem markanten Schlussplädoyer versucht N. Gleichgesinnte trotz
der Epochenproblematik zu ermutigen, nachdem er mit der Polemik gegen
Strauß sein eigenes ,unzeitgemäßes4 „Bekenntniss abgelegt“ hat (241, 34). Da-
bei spielt N. mit der Mehrdeutigkeit der Formulierung „was [...] an der Zeit ist“,
die sich einerseits auf das Aktuelle oder Zeitgemäße und andererseits auf das
Gebotene, da dringend Notwendige beziehen kann. Obwohl er letzteres meint,
lässt er hier die Bedeutungsvaleurs changieren. Indem er „unzeitgemäss“ und
„Zeit“ in ein Spannungsverhältnis bringt, suggeriert er zunächst einen mögli-
chen Widerspruch, der aber faktisch nicht besteht. Zudem nimmt N. implizit
auf Vorbehalte gegenüber dem ,Unzeitgemäßen4 aus der Perspektive des Com-
mon sense Bezug, indem er auf das rekurriert, was „als unzeitgemäss gilt“ und
solche ,Geltung4 dabei zugleich relativiert. Gerade durch diese Art der Argu-
mentation unterstreicht N. nachdrücklich die Bedeutung eines ,unzeitgemä-
ßen4 Denkens und eines ihm entsprechenden Wahrheitsethos.
 
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