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Scheibenberger, Sarah; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,3): Kommentar zu Nietzsches "Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69927#0020
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I Überblickskommentar
1 Entstehungsgeschichte und Textgeschichte

Die Entstehung von Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, so
ließe sich pointiert formulieren, stand im Zeichen von N.s Augenleiden und
der Freundschaft. Seine „Augen (die widerspenstigen! gefährlichen und ge-
fährdeten!)" (N. an Gustav Krug, 21. 9. 1873, KSB 4/KGB 11/3, Nr. 314, S. 159)
machten N. das Lesen und Schreiben ab Anfang 1873 für die Dauer eines Jahres
schwer und zwangen ihn, die Hilfe auch seines Freundes Carl von Gersdorff in
Anspruch zu nehmen. Gersdorff stand ihm als Schreibkraft für die literarische
Produktion und Korrespondenz ab Mitte Mai bis zu seiner Rückkehr nach Itali-
en Mitte September zur Verfügung und war, wie N. rückblickend an Wagner
schreibt, in dieser Zeit „meine rechte Hand und mein linkes Auge" (N. an Ri-
chard Wagner, 18. 9. 1873, KSB 4/KGB 11/3, Nr. 313, S. 157). Zur selben Zeit
machte N. in Basel durch Heinrich Romundt die Bekanntschaft Paul Rees, der
gemeinsam mit Gersdorff N.s Vorlesung über die vorplatonischen Philosophen
hörte, bei deren Vorbereitung Gersdorff dem augenkranken N. half. Eines der
Gesprächsthemen der Sommermonate ist unter den Freunden in Basel, das zu
einer Art Trutzburg der sich allmählich isolierenden jungen Wissenschaftler
geworden war, die Streitschrift Ueber die Christlichkeit unserer heutigen Theolo-
gie von N.s Hausgenossen Franz Overbeck, die zeitgleich mit der ersten Unzeit-
gemässen Betrachtung dank Wagners Vermittlung, wie schon N.s Tragödien-
schrift, im Sommer bei dessen Verleger Fritzsch in Leipzig erscheint. „Basel sei
vulcanisch geworden" (N. an Erwin Rohde, 5. 5. 1873, KSB 4/KGB 11/3, Nr. 307,
S. 149), schreibt N. mit Blick auf die zu erwartenden Reaktionen auf seine
,Straussiade' und Overbecks Brandschrift verschwörerisch an Erwin Rohde.
Das Druckmanuskript von UB I diktierte N. zusammen mit WL wohl im Juni
desselben Jahres in Basel an Gersdorff. N.s Diktat von WL lagen frühere Auf-
zeichnungen aus dem Sommer 1872 und Vorfassungen aus dem Winter 1872/
1873 zugrunde, darüber hinaus lassen sich WL vorbereitende Gedanken in ver-
schiedenen Kontexten nachweisen. Am 12. Juli ziehen sich N. und Gersdorff
N.s zunehmender Augenprobleme wegen für einen Monat nach Flims in Grau-
bünden zurück, wo später auch Romundt und N.s Schwester Elisabeth dazu-
stoßen (vgl. KGW II 7/2, 174-176 u. KSA 14, 113 u. KSA 15, 50; vgl. Gersdorff
1937, 11-17 u. 111-113; vgl. Janz 1978, 494, 503, 539-540 u. CBT, 292-299).
Der in der Sekundärliteratur zu WL oft nicht näher erläuterte Hinweis, N.
habe Gersdorff WL in die Feder diktiert, kann den Eindruck vermitteln, es habe
sich hier um ein Diktat aus dem Stegreif gehandelt. Ein Blick auf die Manu-
skriptlage (KGW III 5/2, 1301-1302 u. 1365-1366) und auf die im KGW-Nachbe-
 
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