Überblickskommentar 7
KSA 1, 130, 13). Bereits in seiner Antrittsvorlesung Über die Persönlichkeit Ho-
mers (1869), später unter dem Titel Homer und die klassische Philologie veröf-
fentlicht, hatte der 24-jährige Altphilologe seine Zukunftsvision einer sich an
philosophischen Fragen orientierenden Philologie entworfen, die auch semioti-
sche Aspekte der Sprache behandelt. Immer mehr versucht er im Rahmen der
Altertumswissenschaften Fragestellungen zu behandeln, die in den WL voraus-
gehenden Schriften als zunächst philosophisch-philologische formuliert, in WL
dann ein erstes Mal als dezidiert philosophisch-ästhetische entwickelt werden.
Zwar hat N. schon in GT, zum Schrecken seiner Fachkollegen, die griechische
Tragödie allein als „aesthetische[s] Problem" zu begreifen versucht und „von
jeder philologischen Behandlung der Frage völlig" abgesehen (N. an Wilhelm
Engelmann, 20. 4. 1871, KSB 3/KGB II/1, Nr. 133, S. 194). In WL nun geht es N.
darum, die Sprache selbst „unter der Optik des Künstlers zu sehn"
(GT Versuch einer Selbstkritik 2, KSA 1, 14, 10). Statt die „Tiefe der mikroskopi-
schen Welt" (885, 7) auszuloten, soll der ,wahrhaftige' Wissenschaftler, d. i. der
Philosoph, in einer Grundhaltung des Pathos die Einsicht in den unhintergeh-
bar metaphorischen Charakter der Sprache nicht nur verschmerzen, sondern
dem Leben dienstbar machen. Und auch einer der Leitgedanken der Tragödien-
schrift, die Konzeption eines apollinischen und dionysischen Prinzips, spiegelt
sich in WL im Entwurf des vernünftigen und des intuitiven Menschen, in der
Vorstellung von einem rationalen Römertum und einem naturhaften Griechen-
tum als sich komplementär ergänzenden ,Antiken'.
Dass N.s sprachtheoretische Reflexionen ihren Weg vom Studium der Alten
Sprachen über die Basler Lehrtätigkeit hin zu WL nahmen (vgl. Crawford 1988),
belegt zudem die systematisch-historische Darstellung der antiken Rhetorik
(KGW 11/4, 413-502) von 1872/73 (vgl. Stingelin 1996, 93 u. Behler 1998). Im
Rahmen dieser Vorlesung, die altphilologische mit sprachphilosophischen Be-
trachtungen zusammenführt, beschäftigte sich N. das erste Mal, zur Hauptsa-
che in § 3 und § 7, ausführlicher mit den Tropen Metonymie, Synekdoche, vor
allem aber mit der Metapher - was ihn erneut vor ein facettenreiches ,ästheti-
sches Problem' stellt. Besonders der an der Lektüre von Gustav Gerber orien-
tierte §3 des Vorlesungsskripts, welcher das „Verhältniß des Rheto-
rischen zur Sprache" (KGW 11/4, 425) behandelt, weist zahlreiche, oft
wörtliche Übereinstimmungen mit WL auf. So ist die Generalthese des Paragra-
phen, „daß die Rhetorik eine Fortbildung der in der Sprache ge-
legenen Kunstmittel ist", es folglich „keine unrhetorische ,Natürlich-
keit' der Sprache" (KGW 11/4, 425), sondern nur immer Figuration gebe, Gerber
entlehnt. Gerbers methodische Trennung zwischen Sprachkunst und Sprach-
lehre hebt N. allerdings in der Radikalisierung der - wiederum metaphorisch
vorgetragenen - These von der grundsätzlichen Rhetorizität der Sprache auf.
Diese ist auch hier schon an die kritische Frage nach einer objektiven Wahrheit
KSA 1, 130, 13). Bereits in seiner Antrittsvorlesung Über die Persönlichkeit Ho-
mers (1869), später unter dem Titel Homer und die klassische Philologie veröf-
fentlicht, hatte der 24-jährige Altphilologe seine Zukunftsvision einer sich an
philosophischen Fragen orientierenden Philologie entworfen, die auch semioti-
sche Aspekte der Sprache behandelt. Immer mehr versucht er im Rahmen der
Altertumswissenschaften Fragestellungen zu behandeln, die in den WL voraus-
gehenden Schriften als zunächst philosophisch-philologische formuliert, in WL
dann ein erstes Mal als dezidiert philosophisch-ästhetische entwickelt werden.
Zwar hat N. schon in GT, zum Schrecken seiner Fachkollegen, die griechische
Tragödie allein als „aesthetische[s] Problem" zu begreifen versucht und „von
jeder philologischen Behandlung der Frage völlig" abgesehen (N. an Wilhelm
Engelmann, 20. 4. 1871, KSB 3/KGB II/1, Nr. 133, S. 194). In WL nun geht es N.
darum, die Sprache selbst „unter der Optik des Künstlers zu sehn"
(GT Versuch einer Selbstkritik 2, KSA 1, 14, 10). Statt die „Tiefe der mikroskopi-
schen Welt" (885, 7) auszuloten, soll der ,wahrhaftige' Wissenschaftler, d. i. der
Philosoph, in einer Grundhaltung des Pathos die Einsicht in den unhintergeh-
bar metaphorischen Charakter der Sprache nicht nur verschmerzen, sondern
dem Leben dienstbar machen. Und auch einer der Leitgedanken der Tragödien-
schrift, die Konzeption eines apollinischen und dionysischen Prinzips, spiegelt
sich in WL im Entwurf des vernünftigen und des intuitiven Menschen, in der
Vorstellung von einem rationalen Römertum und einem naturhaften Griechen-
tum als sich komplementär ergänzenden ,Antiken'.
Dass N.s sprachtheoretische Reflexionen ihren Weg vom Studium der Alten
Sprachen über die Basler Lehrtätigkeit hin zu WL nahmen (vgl. Crawford 1988),
belegt zudem die systematisch-historische Darstellung der antiken Rhetorik
(KGW 11/4, 413-502) von 1872/73 (vgl. Stingelin 1996, 93 u. Behler 1998). Im
Rahmen dieser Vorlesung, die altphilologische mit sprachphilosophischen Be-
trachtungen zusammenführt, beschäftigte sich N. das erste Mal, zur Hauptsa-
che in § 3 und § 7, ausführlicher mit den Tropen Metonymie, Synekdoche, vor
allem aber mit der Metapher - was ihn erneut vor ein facettenreiches ,ästheti-
sches Problem' stellt. Besonders der an der Lektüre von Gustav Gerber orien-
tierte §3 des Vorlesungsskripts, welcher das „Verhältniß des Rheto-
rischen zur Sprache" (KGW 11/4, 425) behandelt, weist zahlreiche, oft
wörtliche Übereinstimmungen mit WL auf. So ist die Generalthese des Paragra-
phen, „daß die Rhetorik eine Fortbildung der in der Sprache ge-
legenen Kunstmittel ist", es folglich „keine unrhetorische ,Natürlich-
keit' der Sprache" (KGW 11/4, 425), sondern nur immer Figuration gebe, Gerber
entlehnt. Gerbers methodische Trennung zwischen Sprachkunst und Sprach-
lehre hebt N. allerdings in der Radikalisierung der - wiederum metaphorisch
vorgetragenen - These von der grundsätzlichen Rhetorizität der Sprache auf.
Diese ist auch hier schon an die kritische Frage nach einer objektiven Wahrheit