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Überblickskommentar 11

weist. In WL lässt sich Schopenhauers Einfluss deutlich aus N.s Abwertung des
Intellekts gegenüber der Triebsphäre sowie aus dem Primat erkennen, den N.
der sinnlichen Wahrnehmung gegenüber jedem abstrakten Begriffsbau ein-
räumt (vgl. Crawford 1988). Im Folgenden wird aus N.s Handexemplar von Die
Welt als Wille und Vorstellung (WWV) zitiert (hg. von J. Frauenstädt, 2 Bde.,
Leipzig 1873).
Schon die in WL prominente architektonische Metaphorik, etwa die Rede
von dem „Vernunft-Bezirk[es]" (883, 4) oder dem „mathematisch zertheilten
Begriffshimmel" (882, 20-21), deutet auch auf Kant als wichtigen Bezugspunkt
hin (zu weiteren möglichen Quellen zum Begriffsfeld vgl. NK 882, 17-23). Aber
auch Konzepte wie Form, Erfahrung oder Gesetzmäßigkeit der Natur führen zu
Kants Kritik der reinen Vernunft und Kritik der Urteilskraft, mit denen sich N.
auseinandersetzte, wie schon das sog. Teleologie-Fragment von April/Mai 1868
belegt (vgl. NK 885, 17-19). Ausführliche Darstellungen von Kants Philosophie
fand N. in der Geschichte der neuern Philosophie (Bd. 3 u. 4, Mannheim 1860)
von Kuno Fischer, sowie in seinen eigenen Exemplaren von Otto Liebmanns
Kant und die Epigonen. Eine kritische Abhandlung (Stuttgart 1865) und von
Friedrich Ueberwegs 1863-1866 erschienenem Grundriß der Geschichte der Phi-
losophie von Thales bis auf die Gegenwart (1. u. 3. Aufl., 3 Bde., Berlin 1866-
1867). Argumente gegen Kant konnte N. bei Schopenhauer und Afrikan Spir,
besonders aber bei Friedrich Albert Lange finden, der Kants Erkenntnistheorie
vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Physiologie liest. Wurde in der For-
schung oft angenommen, N. habe Kant nur wenig verstanden und ausschließ-
lich durch Darstellungen kennengelernt, wurde die Relevanz von Kant (und
des Kantianismus) für den jungen N. mittlerweile - zu Recht - wiederholt fest-
gestellt (vgl. etwa Stack 1983, 195-223; Clark 1990, 92-93; Hill 2003; Emden
2005, 38-39; Riccardi 2009).
Ein noch im Spätwerk nachweisbarer Einfluss auf die Entwicklung von N.s
sprachkritischen Überlegungen ist auch Georg Christoph Lichtenberg's Ver-
mischten Schriften (9 Bde., erstmals Göttingen 1800-1806) zuzusprechen. N. las
und exzerpierte Lichtenberg, den er vermutlich durch Schopenhauer kennen-
lernte, zur Zeit der Niederschrift von WL (von Frühjahr bis Herbst 1873; vgl.
Stingelin 1996, 92). In Bd. 1 von N.s Handexemplar (8 Bde., Göttingen 1867)
finden sich mehrere Lesespuren, anhand derer sich Lichtenbergs theoretische
wie stilistische Bedeutung für N. ablesen lässt (vgl. NK 878, 27-29 u. NK 885,
6-7). Lichtenbergs Entwurf einer Philosophie als „Berichtigung des Sprachge-
brauchs" (Lichtenberg 1867, Bd. 1, 79 - N. unterstreicht diese Formel in seiner
Ausgabe), deren Anliegen es ist, die Struktur von Denken und vermeintlichem
Erkennen als durch die grammatische Struktur der Sprache bedingt auszuwei-
sen, hat N. beeindruckt. Eine solche Begriffskritik, d.i. aber eine kritische
 
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