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Scheibenberger, Sarah; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,3): Kommentar zu Nietzsches "Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69927#0030
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Überblickskommentar 13

in dem frühen Fragment Vom Ursprung der Sprache (1869/1870) formuliert, in
einem unbewussten „gemeinsamen Sprachbildungsinstincte der Menschheit"
(Hartmann 1869, 231), einem schöpferischen „Masseninstinct [...], wie er
im Leben des Bienenstockes, des Thermiten- und Ameisenhaufens waltet"
(Hartmann 1869, 231; vgl. Gerratana 1988; vgl. NK 875, 5 u. NK 876, 18).
In diesem Zusammenhang ist auch Denken und Wirklichkeit. Versuch einer
Erneuerung der kritischen Philosophie (2 Bde., Leipzig 1873) des damals unbe-
kannten Afrikan Spirs zu nennen, ein Werk, das sich N. gleich nach Erscheinen
am 14. März 1873 und in der Folgezeit mehrmals aus der Universitätsbibliothek
Basel auslieh. Später kaufte er das Buch (2. Aufl., 2 Bde., Leipzig 1877). In
Auseinandersetzung mit Helmholtz' Wahrnehmungstheorie und den Erkennt-
nisphilosophien von Kant und Schopenhauer stellt Spir unter dem Titel einer
kritischen Philosophie des „Unbedingten" die These auf, der epistemische Zu-
gang zur Wirklichkeit werde durch die paradoxale Koexistenz von logischen
und unlogischen Gründen konstituiert. Schopenhauer und seinem apriori-
schen Kausalitätsprinzip unterstellt Spir Kritiklosigkeit, während sich Kant in
ein Netz von Widersprüchen verstrickt habe (vgl. D'lorio 1993; Green 2002, 46-
53).
Hermann von Helmholtz' sinnesphysiologisches Werk Die Lehre von den
Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik
(Braunschweig 1863) entlieh sich N. am 9. November 1870 aus der Basler Uni-
versitätsbibliothek. N. kam aber vermutlich schon vor der Helmholtz-Lektüre
mit dessen Wahrnehmungstheorie in Berührung, die von vielen von N. gelese-
nen zeitgenössischen Autoren aufgegriffen wurde (so von Lange 1866; oder
Hartmann 1869). Kritisch rezipiert er Helmholtz' Theorie der „unbewußten
Schlüsse" (etwa NL 1872/73, KSA 7, 19[107], 454, 11), die unter dem Einfluss
von Kants Konzept der Zweckmäßigkeit steht, indem er dieser das Bild willkür-
licher Übertragungen entgegen setzt (vgl. NK 878, 5-10; vgl. Reuter 2004, 363).
Auch die Bedeutung des Astrophysikers Johann Carl Friedrich Zöllner für
N. und WL wird unterschiedlich bewertet. Zöllners viel diskutiertes Buch Über
die Natur der Cometen. Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntniss
(Leipzig 1870) entlieh N. erstmals am 6. November 1872 und in den folgenden
Monaten mehrmals aus der Basler Universitätsbibliothek (2. Aufl., Leipzig
1872). In N.s persönlicher Bibliothek findet sich ein Exemplar der zweiten Auf-
lage ohne Lesespuren. Zöllner stellt in den Beiträgen neben astronomisch-phy-
sikalischen Überlegungen über die „physische Beschaffenheit der Cometen"
(Zöllner 1872, LXXIII) auch ausführliche „Studien im Gebiete der Psychologie
und Erkenntnistheorie" (Zöllner 1872, LXXXII) an, die unter Bezugnahme auf
Schopenhauer und Helmholtz die Apriorität des Kausalitätsgesetzes und die
„Theorie der unbewussten Schlüsse" (Zöllner 1872, XCII) diskutieren (vgl. NK
878, 5-10 u. Orsucci 1994a, 197-200).
 
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