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Überblickskommentar 17

ist, der gleichwohl ein „Residuum einer Metapher" (882, 9-10) an sich
trägt, d. h. aber: ein chimärisches Wesen besitzt, das in sich die gegenläufigen
Tendenzen von Erstarrung und Auflösung jeder Erstarrung verbindet. Zugrun-
de liegt der Opposition von Begriff und Metapher ein dem Wort inhärenter Ges-
tus (im Sinne von Inszenierungsstrategien), der das metaphorische Wesen des
Begriffs, d. h. zugleich die Metapher von einem dem Begriff vorausgehenden
Metapherngrund, affirmiert und die metaphorische Grundlage der Begriffe zu-
gunsten der Illusion von der eigentlichen Rede verhüllt. Die Einsicht in die
Uneigentlichkeit jeder Rede legt das wahrhaftige Sprechen besonders im Ges-
tus der Ironie offen, in welchem sich die Ambivalenz der begrifflichen Sprache
spiegelt.
Der Doppelnatur der Sprache entspricht eine in gleicher Weise ambivalente
anthropologische Bestimmung, welche in den Figuren des intuitiven und des
vernünftigen Menschen keine bloß widerstreitende, sondern komplementäre
Dynamiken inkorporiert. N. überblendet die beiden Oppositionspaare, indem
er die metaphorische Verweisungspotenz der Sprache dem intuitiven Intellekt
zuordnet. Dieser setzt den vorlogischen menschlichen „Trieb zur Metapherbil-
dung" (887, 1), wenn er auch die Geschichtlichkeit des verfügbaren Wortmateri-
als nicht annulieren kann, auf einer sublimierten Ebene „im Mythus und über-
haupt in der Kunst" (887, 8) analogisch fort und begründet so erst Formen von
Kulturkonstrukten. Die Affirmation des metaphorischen Vermögens befähigt
den intuitiven Menschen sogar zur spielerischen Einfühlung in andere, struk-
turell verschiedene Formen der Perzeption, weshalb (wenigstens in der Illu-
sion) sein an ästhetischen Lebenswerten orientiertes Weltempfinden ganz-
heitlicher, da perspektivenreicher als das des vernünftigen Menschen ist. Die-
ser verabsolutiert seine Weltperzeption und interpretiert sie als einzig wahre
Perspektive. Doch basieren gerade seine hehrsten Erkenntnisse auf gewagten
Übertragungsleistungen, denn der Wissenschaftler verschafft sich auch von
Gegenstandsbereichen, die dem Spektrum seiner sinnlichen Wahrnehmung
entrückt sind, vermeintlich exakte Kenntnisse. Auch der vernünftige Mensch
macht sich also, ohne sich das freilich einzugestehen, das Vermögen der Spra-
che zu nutze, andere Formen der Perzeption zu simulieren. In seinem Erkennt-
nispathos treibt er das Vermögen des Begriffs, sein janusköpfiges Wesen zu
verhüllen und die Phänomene der Welt widerspruchsfrei zu erklären, bis an
die der Sprache immanenten Grenzen. Die Phänomene, die sich mit seinem
Kategoriennetz nicht fassen lassen, zeigen sich ihm folglich als Wunder, die
auf „furchtbare Mächte" verweisen, „die der wissenschaftlichen Wahrheit ganz
anders geartete ,Wahrheiten' mit den verschiedenartigsten Schildzeichen ent-
gegenhalten" (886, 30-33). In diesem Moment bietet sich der Wissenschaft die
Möglichkeit, nun willentlich ihre künstlerische Kraft dafür einzusetzen, die le-
 
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