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18 Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne

bensfeindlichen Erkenntnisse für „ein erhabenes Glück" (889, 25) wieder zu
verschleiern, woraus eine Steigerung auch der Wissenschaft hin zu einer neuen
Philosophie resultieren können soll.
Die Bewegung, die der stoische Weise am Ende von WL vorführt, der sich
angesichts der „Wetterwolke" (890, 12) in seinen Mantel einhüllt und die Ge-
witterwolke so erträglich macht, vollführt auch die rechte Wissenschaft, die
beglückende Erkenntnisse jenen furchtbaren vorzieht. Das Wechselspiel von
Ver- und Enthüllung in WL, das N. am Problem der Sprache, insbesondere am
Begriff der Metapher exemplifiziert, wird am Ende des Textes sinnfällig im Bild
des ummantelten Philosophen. Wenn sich der Gelehrte in seinen Mantel hüllt,
dann hüllt sich auch der Text in seine (metaphorische) Textualität ein und
verweist auf den Eingang von WL: auf das Fabulieren.

5 Zur Wirkungsgeschichte
In den Vorworten und Nachberichten der ersten Werkausgaben von N. wird WL
bereits einstimmig „als besondere Schrift" (GoA 10, 508) von „außerordentlich
bedeutungsvoller Stellung" (N. 1929, 28) innerhalb N.s Gesamtschaffen bewer-
tet, der N. selbst „immer eine verhältnismäßig hohe Bedeutung beigelegt"
(TA 1, XXXIX) habe. Diese schon früh hervorgehobene Besonderheit von WL
steht allerdings in einer Schieflage zu ihrer expliziten Rezeption, oft scheint
das philosophische Potential von WL hinter den Kulissen der Fachwissenschaf-
ten zu wirken. So lässt sich der Einfluss, den WL auf die Philosophie und Lite-
ratur nach N. ausgeübt hat, nur schwer eindeutig nachzeichnen. Wenn es auch
ein Leichtes ist, die Bedeutung N.s für die Autoren des 20. Jahrhunderts tout
court aufzuzeigen, so ist jeder Versuch, die spezifischen Auswirkungen von WL
auf die Werke nachfolgender Denker aufzuweisen, verschiedenen Schwierig-
keiten ausgesetzt. Eine Sichtung etwa der von Krümmel gut belegten Zeugnisse
über die früh einsetzende Rezeption von Werk und Persönlichkeit N.s erbringt
nur dürftige Ergebnisse, sucht man nach eindeutigen Spuren von WL-Lektü-
ren. Andere Texte N.s dominieren und polarisieren zunächst das N.-Bild. Eine
kurze anonyme Rezension der beiden ersten Nachlassbände will jedoch bereits
die „Bedeutung" von WL „für N.'s Weiterentwickelung als Maßstab" angenom-
men wissen (in: Literarisches Centralblatt für Deutschland, Nr. 52 vom 26. 12.
1896, Sp. 1882; vgl. Kr I, 425). Auch zeichnet sich schon früh in der Rezeption
ein allgemeines Interesse an der erkenntniskritischen Dimension von N.s Den-
ken ab (meist im Hinblick auf Kant, Lange, Schopenhauer, und unter den
Schlagworten Skepsis/Skeptizismus, Perspektivismus, Relativismus, Pragma-
tismus), das eine Lektüre der (frühen) Nachlassbände und damit auch von WL
 
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