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Überblickskommentar 23

Überwindung einiger traditioneller Kategorien der Philosophie (wie Substanz,
Methode und Ding an sich) geleistet. Unter Bezugnahme auf unterschiedliche
Phasen von N.s Denken erarbeitet Rorty seine grundlegende (und sich zu ei-
nem Kern der ganzen folgenden analytischen Philosophie entwickelnde) The-
se, dass mit N. eine intersubjektiv begründete Objektivität beginne. N.s Grenze,
wie Rorty am Beispiel der Bestimmung von Wahrheit in WL als „bewegliches
Heer von Metaphern" (880, 30) ausführt, bestand für Rorty aber darin, dass er
trotz Annahme dieser grundlegenden Relationalität letztlich einen subjektivis-
tischen Weg eingeschlagen habe (vgl. Objectivity, Relativism, and Truth. Philo-
sophical Papers, 1991, 32-33).
In seiner zum Standardwerk avancierten Studie Nietzsche as Philosopher
(1965) widmet sich schließlich auch der analytische Philosoph Arthur C. Danto
WL, insbesondere aber N.s hier formulierten Begriffen der Metapher, der Kunst
und der Wahrheit, an denen N. auch späterhin nahezu unverrückbar festgehal-
ten habe. N.s Konzept der Metapher spielt eine Rolle auch in Dantos Philoso-
phie der Kunst, vor allem in seinem von Leibniz hergeleiteten Begriff der Unun-
terscheidbarkeit zwischen Kunst- und Alltagsgegenständen (vgl. The Transfigu-
ration of the Commonplace, 1981). In WL sieht Danto zentrale Thesen des
Dekonstruktivismus (alle Sprache sei metaphorisch) und des Pragmatismus
(alle Sprache sei Instrument) bereits vorweggenommen, wofür ihm Derrida
und Rorty als Gewährsmänner gelten.
Eine konkrete Rezeptionsgeschichte von WL in der Philosophie zu schrei-
ben ist also nicht unproblematisch. Gleiches gilt für eine Darstellung literari-
scher Umsetzungen der in WL formulierten Sprachkritik. Verwandtschaften
nämlich, die sich zwischen den Gedanken aus WL und sprachkritischen litera-
rischen Zeugnissen späterer Autoren ausmachen lassen, sind nicht zwingend
auf bewusste Übernahmen zurückzuführen, sondern beruhen mitunter auf
ähnlichen Schreiberfahrungen, die gemeinhin unter dem Begriff einer sog.
„Sprachkrise" subsumiert werden. Von der Forschung wird ein direkter und
indirekter Einfluss von WL auf einige Autoren der „literarischen Moderne" (vgl.
etwa Kiesel 2004, 177-198) - z. B. Karl Kraus, Robert Musil und Gottfried Benn -
geltend gemacht. Sie hinterfragen, jeder auf seine Weise, die Grenzen und die
sprachliche Konstitution der Erfahrungen, die der literarischen Form zugrunde
liegen. Es kann an dieser Stelle nicht um eine flächendeckende Erfassung ge-
hen, im Folgenden daher nur drei Beispiele, die hier exemplarisch für Rezepti-
onszeugnisse der europäischen literarischen Moderne angeführt werden.
Christian Morgenstern rezensiert im Juni 1896 für die Neue deutsche Rund-
schau die gerade erschienenen Nachlassbände IX und X der zweiten Abteilung
von N.s Schriften. Zwar geht Morgenstern in seiner enthusiastischen Bespre-
chung nicht explizit auf WL aus Band X ein, die Traummetaphorik und der
 
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