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Stellenkommentar WL 1, KSA 1, S. 875 29

den Wesen", die „empirische Wahrheit" und der Gedanke der Kurzlebigkeit
der Welt ihre Entsprechung in WL.
N., der Pascal schon früh studiert hat (vgl. Vivarelli 1998, 95-131), hatte
hier mit großer Wahrscheinlichkeit auch Pascals bekanntes Fragment aus den
Pensees über die „disproportion de l'homme" vor Augen (Pensees, Fr. 72). In
seiner deutschen Ausgabe, die zahlreiche Lesespuren aufweist, findet sich ein
entsprechendes Kapitel zum „Mißverhältniß des Menschen" (Pascal 1865,
Bd. 2, 53-62), das bis in den Wortlaut hinein Übereinstimmungen mit N.s Fabel
besitzt. Dem Menschen „möge", so Pascal, „die Erde wie ein kleiner Punkt
gegenüber von dem unermeßlichen Kreis, welchen dieses Gestirn beschreibt,
erscheinen", der „selbst nur ein sehr unbedeutender Punkt" sei (Pascal 1865,
Bd. 2, 53). Diese Betrachtung solle den Menschen zu einer Selbstbetrachtung
und zur Erkenntnis anleiten, „wie verirrt in diesem abgelegenen Winkel der
Natur" (Pascal 1865, Bd. 2, 54) er sei. Wenn Pascal die „Unendlichkeit des Welt-
alls" am Beispiel einer winzigen Milbe in der abgründigen „Unermeßlichkeit
der Natur" gespiegelt sieht (Pascal 1865, Bd. 2, 54; zu Pascals „deux infinis"
vgl. auch NK 885, 6-7), kontrastiert N. ironisch Weltall und Mücke. Während
Pascal aus den beiden dem Menschen unzugänglichen Unendlichkeiten auf
die göttliche Allmacht schließt, sind sie für N. Zeichen der Kläglichkeit des
menschlichen Intellekts (N. wird später wiederholt bedauern, Pascals Verstand
sei durch seinen christlichen Glauben verdorben worden, vgl. dazu NK KSA 6,
171, 30-34).
Auch Leopardi (z. B. in La ginestra, o il fiore del deserto, V. 185-200), den N.
zur Entstehungszeit von WL intensiv las (vgl. Janz 1978, 544), schreibt von der
Winzigkeit der Welt in einem unendlichen Raum, die den Menschen notwendig
zum Erkennen und vor allem zum Fabulieren („favoleggiar", La ginestra, V. 190)
treibt (vgl. N.s deutsche Ausgabe von Leopardi 1866, 134).
875, 4 kluge Thiere] Mit den „klugen Thieren" ruft N. einen bis auf das zöon
logikön von Aristoteles (Metaphysik, Z12, 1037bl3-14) zurückreichenden Traditi-
onshintergrund auf. N.s zeitgenössisches Bild vom Menschen als klugem Tier
hat als Hintergrund u. a. evolutionstheoretische Erkenntnisse der zweiten Hälf-
te des 19. Jahrhunderts, wie z. B. die Deszendenztheorie, die Theorie einer Ab-
stammung des Menschen von tierischen Formen. N. teilte zwar nicht den ge-
schichtsphilosophischen Fortschrittsoptimismus vieler Evolutionisten, den
grundsätzlichen Gedanken der Evolution aber bejahte er. N.s Begriff der Evolu-
tion impliziert aber keine Teleologie (die in der Tat auch Darwin selbst leugne-
te, vgl. Stegmaier 1987, 281), sondern meint eine Entwicklung des Menschen
im Sinne eines ungerichteten Wachstums seiner individuellen psychophysiolo-
gischen Fähigkeiten (wie N. später ähnlich auch den Gedanken des „Willens
zur Macht" verstehen wird). Diese kann allerdings gerade zu einer Überlegen-
 
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