Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Stellenkommentar WL 1, KSA 1, S. 878-879 43

(KGW 11/4, 426). Ebenso: „die Sprache drückt niemals etwas vollständig aus,
sondern hebt nur ein ihr hervorstechend scheinendes Merkmal hervor" (KGW
11/4, 426).
879, 5-7 Das „Ding an sich" (das würde eben die reine folgenlose Wahrheit
sein)] Die Rede vom „,Ding an sich"' ruft Kants Unterscheidung zwischen Nou-
mena und Phaenomena auf. Während die Phaenomena die Gegenstände der
Intuition sind, stellen die Noumena für Kant die Begriffe dar, von denen der
Mensch keine Intuition hat - die „Dinge an sich". Gleichwohl müssen die Be-
griffe gedacht werden können, da der Mensch ihrer bedarf, um seine Erfahrung
zu strukturieren. Kants viel zitierter Satz aus der Kritik der reinen Vernunft:
„Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind" (AA
IV, 48), veranschaulicht bündig die wechselseitige Bedingtheit von Noumena
und Phaenomena. Wenn N. in einem Nachlass-Notat aus der Entstehungszeit
von WL festhält: „Sobald man das Ding an sich erkennen will, so ist es
eben diese Welt" (NL 1872/73, KSA 7, 19[146], 465, 15-16), dann erfasst er
den ersten Halbsatz des Kant-Zitats. Schreibt er: „Wir können vom Ding an sich
nichts aussagen, weil wir den Standpunkt des Erkennenden d. h. des Messen-
den uns unter den Füßen weggezogen haben" (KSA 7, 19[156], 468, 7-9), so
intendiert er damit offensichtlich eine Kritik an Kant, dem er unterstellt, sein
Ding an sich erinnere allzu deutlich an die platonischen Ideen. Kant jedoch
betont stets die Relationalität des Dings an sich, dem kein vom Menschen un-
abhängiges Sein zukomme, wie es Platon für seine Ideen postulierte. Für N. -
der sich im Sommer 1872 durch die gerade fertiggestellte Habilitationsschrift
Die menschliche Erkenntnis und das Wesen der Dinge seines Freundes Heinrich
Romundt mit Kant und dem „langweilige[n] ,Ding an sich'", dem „rein-inhalt-
lich-Unbestimmbaren" (N. an Erwin Rohde, 26. 8. 1872, KSB 4/KGB 11/3,
Nr. 252, S. 47) auseinandersetzt - ist dies undenkbar, da der Mensch den eige-
nen beschränkten Erkenntnisapparat niemals zugunsten einer ,Erkenntnis an
sich' einklammern könnte (vgl. NK 880, 19 zur „qualitas occulta").
879, 7 Sprachbildner] Der Begriff des Sprachbildners findet sich wiederholt
auch bei Gerber. Ein dort angeführtes Zitat des Sprachwissenschaftlers August
Friedrich Pott etwa ähnelt dem Duktus N.s auffallend: „der Sprachforscher",
so Pott, möge „erst wieder Kind oder Naturmensch werden, um wie durch poe-
tisches Ahnen sich wieder zurückzuversetzen auf den Standpunkt des Sprach-
bildners, zu dem Ende, die oft lyrischen Stimmungen, ja dithyrambisch küh-
nen Sprünge und Flüge der Sprache in ihren Combinationen zu begreifen" (SK,
182).
879, 8-10 Er bezeichnet nur die Relationen der Dinge zu den Menschen und
nimmt zu deren Ausdrucke die kühnsten Metaphern zu Hülfe.] Der für WL zentra-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften