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44 Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne

le Begriff der Metapher fällt an dieser Stelle das erste Mal im Text. Er gehört vor
allem zum Vokabular des jungen N. und wird zwischen 1872 und 1873 häufig
gebraucht. Die Metapher-Definitionen von Aristoteles (Poetik und Rhetorik)
und Cicero (Academica) etwa kannte er aus erster Hand. N. erweitert seinen
Metaphernbegriff schrittweise: Bereits in GT zeichnen sich hinsichtlich des Be-
griffs der Metapher Affinitäten zu WL ab, denn N. schreibt, die Metapher sei
„für den ächten Dichter nicht eine rhetorische Figur, sondern ein stellvertre-
tendes Bild, das ihm wirklich, an Stelle eines Begriffes, vorschwebt" (GT 8,
KSA 1, 60, 25-27). Der schwebende Charakter dieser intuitiven Metapher, ihr
Verhältnis zum Begriff sowie zu ihrer Funktion als rhetorischer Trope spielen
eine zentrale Rolle in WL. Auch im Rahmen seiner Basler Rhetorik-Vorlesungen
beschäftigt sich N. mit der Metapher, philosophisch setzt er sich mit ihr insbe-
sondere in PHG und WL auseinander. Sein Begriffsverständnis ist maßgeblich
von seiner Gerber-Lektüre sowie von seinem altphilologischen Hintergrund ge-
prägt. Der Einfluss der Gerber-Lektüre lässt sich u. a. an der Fragmentgruppe
19 nachvollziehen: Der Begriff der Metapher löst hier (ab NL 1872/73, KSA 7,
19[174], 473, 1-2), zur Beschreibung der Tätigkeit des Philosophen, den bei N.
unbestimmteren des Symbols ab (vgl. KSA 7, 19[67], 441, 10). N. gebraucht ne-
ben der „Metapher" anfangs wiederholt den Terminus „Metastase" (KSA 7,
19[175], 473, 13 u. KSA 7, 19[177], 473, 26), der die physiologische Begründung
des menschlichen Übertragungstriebes akzentuiert. Als Synonym verwendet N.
häufig den deutschen Ausdruck für metaphorä: die „Übertragung" (vgl. NLex2,
243-245).
Sprachwissenschaftliche und sprachphilosophische Gedanken Gerbers zur
Metapher haben aber besonders in N.s Rhetorik-Vorlesung Eingang gefunden.
In §3 übernimmt er Gerbers Einsicht, Tropen seien nicht allein bewusste
Kunstmittel der Rhetorik, sondern in erster Linie grundlegende unbewusste
Operationen bei der Sprachentstehung (vgl. SK, 333). So heißt es dort: „Alle
Wörter aber sind an sich u. von Anfang <an>, in Bezug auf ihre Bedeutung
Tropen" (KGW 11/4, 426). Gerbers Unterscheidung „zwischen der regelrechten
Rede und den sogenannten rhetorischen Figuren" (KGW 11/4, 427) ver-
wirft N. Wie Gerber führt er für die verschiedenen Operationen der Sprache
Synekdoche, Metapher und Metonymie an (vgl. KGW 11/4, 426-427). Die Meta-
pher, so heißt es hier noch konventionellen Definitionen gemäß, „schafft die
Wörter nicht neu, sondern deutet sie um" (KGW 11/4, 427; ebenso bei Gerber in
SK, 367-368), was N. mit der Übertragung von natürlichem auf grammatisches
Geschlecht belegt. In einem Zitat aus Jean Pauls Vorschule der Aesthetik in § 7,
das N. Gerber entnimmt (aus SK, 361), klingt jedoch ein grundlegender Gedan-
ke von WL an. So heißt es in dem Zitat, die Metapher schreibe nicht Dinge,
sondern die Relationen zu ihnen fest, doch habe sie sich bald „zum eigentl.
Ausdrucke entfärben" müssen (KGW 11/4, 443). Die Sprache sei daher nichts
 
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