Stellenkommentar WL 1, KSA 1, S. 879-880 47
leistung dar (vgl. NK 878, 21-25), vgl.: „Tropen sind's, nicht unbewußte
Schlüsse, auf denen unsre Sinneswahrnehmungen beruhn" (NL 1872/73, KSA
7, 19[217], 487, 9-10). Wenn jedoch N. einige Seiten später schreibt, die von
den Wissenschaften postulierte „Gesetzmässigkeit der Natur" (885, 18) sei
nichts weiter „als ein höchst subjectives Gebilde" (885, 19), dann liest sich
retrospektiv auch das Erklärungsmodell zur Wortgenese als ironischer Beweis
für die den Begriffen eingeschriebene Aporie. Ein wissenschaftlicher An-
spruch nämlich, der für die Entstehung der Begriffe in einem Vorbegrifflichen
Gesetzmäßigkeiten geltend machen will, demaskiert gerade im „vollständi-
ge[n] Ueberspringen der Sphäre" (879, 12-13) zwangsläufig seinen metaphori-
schen Charakter.
879, 16 die Chladnischen Klangfiguren] Sie tragen ihren Namen nach Ernst
Florens Friedrich Chladni, der 1787 die Schrift Entdeckungen über die Theorie
des Klanges veröffentlicht, in welcher er Klangfiguren darstellt und erläutert.
Sie entstehen, indem eine mit Sand bestreute Platte in Schwingung versetzt
wird, so dass der Sand Knotenlinien von stehenden Wellen bildet. In WL wie
auch in den Fragmenten aus der Entstehungszeit illustrieren Chladnis Figuren
meist das (konstruierte) Verhältnis zwischen Erscheinungswelt und einer als
wirklich angenommenen Welt, wobei N. hier keine Welt der Ideen intendiert,
sondern die physische Verfasstheit des Menschen. Wenn die Bilder der Intuiti-
on (die Chladnischen Figuren) auch nicht die wirklichen Bilder (die die Figuren
verursachenden Töne) getreu wiedergeben, so sind sie durch diese doch be-
stimmt: „die feinsten Ausstrahlungen von Nerventhätigkeit auf einer Fläche
gesehn: sie verhalten sich wie die Chladni'schen Klangfiguren zu dem Klang
selbst: so diese Bilder zu der darunter sich bewegenden Nerventhätigkeit" (NL
1872/73, KSA 7, 19[79], 446; vgl. KSA 7, 19[140], 464 u. KSA 7, 19[237], 494). Auch
Schopenhauer verweist auf Chladni (WWV, Bd. 1, B. 3, Kap. 52, 314). Lichten-
berg, dessen Experimente mit Staubfiguren im elektrischen Feld Chladni zu
seinen Untersuchungen angeregt hatten, erwähnt Chladni an mehreren Stel-
len, z. B. Lichtenberg 1867, Bd. 6, 4.
879, 28 Wolkenkukuksheim] Lehnübersetzung des griechischen Ne^eVokok-
Kuyia aus Aristophanes' Komödie Die Vögel (V. 819). Die bei Aristophanes von
Vögeln in die Luft gebaute Stadt figuriert als Bild für Phantasiegebilde oder
Utopie. Die Übertragung des Begriffs ins Deutsche geht zurück auf Schopen-
hauer (vgl. WWV, Bd. 1, B. 4, Kap. 53, 321-322; vgl. auch NK KSA 6, 37, 1-4).
880, 2 Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen.] Ein in
vielen nachgelassenen Fragmenten aus dem Umkreis von WL behandeltes
Thema. N. mag hier Anleihen bei Afrikan Spirs Forschung nach der Gewissheit
leistung dar (vgl. NK 878, 21-25), vgl.: „Tropen sind's, nicht unbewußte
Schlüsse, auf denen unsre Sinneswahrnehmungen beruhn" (NL 1872/73, KSA
7, 19[217], 487, 9-10). Wenn jedoch N. einige Seiten später schreibt, die von
den Wissenschaften postulierte „Gesetzmässigkeit der Natur" (885, 18) sei
nichts weiter „als ein höchst subjectives Gebilde" (885, 19), dann liest sich
retrospektiv auch das Erklärungsmodell zur Wortgenese als ironischer Beweis
für die den Begriffen eingeschriebene Aporie. Ein wissenschaftlicher An-
spruch nämlich, der für die Entstehung der Begriffe in einem Vorbegrifflichen
Gesetzmäßigkeiten geltend machen will, demaskiert gerade im „vollständi-
ge[n] Ueberspringen der Sphäre" (879, 12-13) zwangsläufig seinen metaphori-
schen Charakter.
879, 16 die Chladnischen Klangfiguren] Sie tragen ihren Namen nach Ernst
Florens Friedrich Chladni, der 1787 die Schrift Entdeckungen über die Theorie
des Klanges veröffentlicht, in welcher er Klangfiguren darstellt und erläutert.
Sie entstehen, indem eine mit Sand bestreute Platte in Schwingung versetzt
wird, so dass der Sand Knotenlinien von stehenden Wellen bildet. In WL wie
auch in den Fragmenten aus der Entstehungszeit illustrieren Chladnis Figuren
meist das (konstruierte) Verhältnis zwischen Erscheinungswelt und einer als
wirklich angenommenen Welt, wobei N. hier keine Welt der Ideen intendiert,
sondern die physische Verfasstheit des Menschen. Wenn die Bilder der Intuiti-
on (die Chladnischen Figuren) auch nicht die wirklichen Bilder (die die Figuren
verursachenden Töne) getreu wiedergeben, so sind sie durch diese doch be-
stimmt: „die feinsten Ausstrahlungen von Nerventhätigkeit auf einer Fläche
gesehn: sie verhalten sich wie die Chladni'schen Klangfiguren zu dem Klang
selbst: so diese Bilder zu der darunter sich bewegenden Nerventhätigkeit" (NL
1872/73, KSA 7, 19[79], 446; vgl. KSA 7, 19[140], 464 u. KSA 7, 19[237], 494). Auch
Schopenhauer verweist auf Chladni (WWV, Bd. 1, B. 3, Kap. 52, 314). Lichten-
berg, dessen Experimente mit Staubfiguren im elektrischen Feld Chladni zu
seinen Untersuchungen angeregt hatten, erwähnt Chladni an mehreren Stel-
len, z. B. Lichtenberg 1867, Bd. 6, 4.
879, 28 Wolkenkukuksheim] Lehnübersetzung des griechischen Ne^eVokok-
Kuyia aus Aristophanes' Komödie Die Vögel (V. 819). Die bei Aristophanes von
Vögeln in die Luft gebaute Stadt figuriert als Bild für Phantasiegebilde oder
Utopie. Die Übertragung des Begriffs ins Deutsche geht zurück auf Schopen-
hauer (vgl. WWV, Bd. 1, B. 4, Kap. 53, 321-322; vgl. auch NK KSA 6, 37, 1-4).
880, 2 Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen.] Ein in
vielen nachgelassenen Fragmenten aus dem Umkreis von WL behandeltes
Thema. N. mag hier Anleihen bei Afrikan Spirs Forschung nach der Gewissheit