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Stellenkommentar WL 2, KSA 1, S. 889-890 63

Abb. 5): „Für beide ist die folgenlose Wahrheit gleich gültig: der Philosoph
erscheint wunderbar. Der Philos, als Abnormität. Daher als einsamer Wan-
derer. Also im Grunde zufällig in einem Volke? Wo e[s][r] sich gegen die Kultur
wendet, dann zerstörend. Nachzuweisen, daß die griech. Philosophen nicht
beliebig griechische sind." Diese Notizen gehören zu N.s Reflexionen über den
tragischen und letzten Philosophen, die vorplatonischen Philosophen und das
Hellenische aus dem Gedankenkreis der zeitgleich entstehenden Schrift Die
Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen, vgl. z. B. PHG 1, KSA 1, 808,
25-29; oder PHG 1, KSA 1, 809, 14-19: „nur eine Kultur, wie die griechische,
kann [...] die Philosophie überhaupt rechtfertigen, weil sie allein weiß und be-
weißen kann, warum und wie der Philosoph nicht ein zufälliger beliebiger bald
hier- bald dorthin versprengter Wanderer ist" (vgl. in diesem Zusammenhang
auch N.s Vorlesungsaufzeichnung Die vorplatonischen Philosophen über philo-
sophische Typen, KGW II/4, 211-2216). Zum romantischen Bild des Philoso-
phen-Wanderers vgl. auch MA I 638, KSA 2, 362-363.
Hinter N.s Bestimmung des „Philos, als Abnormität" mag sich auch Scho-
penhauers, v. a. in den Ergänzungen theoretisierte, Konzeption des Genies ver-
bergen, das „in einem völlig abnormen, wirklichen Uebermaaß von Intellekt"
(WWV, Bd. 2, B. 3, Kap. 31, 444) bestehe (zur Abnormität bei Schopenhauer vgl.
Neymeyr 1996); das Zerbrechen des principium individuationis vollzieht sich für
Schopenhauer durch eine maßlose Aufblähung des Intellekts, bei N. hingegen
im Medium einer Sinnenthaltung, die sich durch das Wunderbare manifestiert.
Auch eine frühere Schrift kommt in Betracht: Nach Socrates und die Tragoedie
spricht bisweilen „eine wunderbar sich äußernde dämonische Stimme" (ST,
KSA 1, 542, 17-18) durch Sokrates, den „ganz abnormen Menschen" (ST, KSA 1,
542, 20), und verkehrt, in Gestalt des musiktreibenden Sokrates, zeitweise die
Hierarchie von Instinkt und Verstand, Kunst und Wissenschaft.
Auch die Überlegungen Giambattista Vicos in der Scienza Nuova (1744)
über die philosophische Kultur der Griechen, deren Urgrund das Wunderbare
(„la maraviglia", Vico 2000, B. 2, 328) ist, das sich in der „sapienza poetica"
(Vico 2000, 328) ausspricht und in den Wissenschaften manifestiert, mögen N.
bekannt gewesen sein und ihm als kontrastive Folie für die Vorstellung des
(auch) destruktiven Charakters des ,wunderbaren Philosophen' gedient haben.
Die dämonische „unbewußte Weisheit" (ST, KSA 1, 542, 19) des tragischen Phi-
losophen Sokrates aber schlägt wieder in Misstrauen gegen die tragische Kunst
um: Mit ihnen stehen sich die zwei Seiten des Hellenischen gegenüber, die
sich in WL im intuitiven und im vernünftigen Menschen konkretisieren.
 
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