Überblickskommentar 15
2 Quellen
Da N. aufgrund seines unsteten Wanderlebens seit der krankheitsbedingten
Niederlegung seiner Basler Professur im Jahr 1879 generell nur wenige Bücher
aus seiner Privatbibliothek bei sich hatte und ihm wegen seines Augenleidens
überdies das Lesen schwerfiel, konnte er zu Beginn der Arbeit an FW von sich
sagen: „ich selber lebe ferne und ohne Bücher" (Brief an Hermann Pachnicke,
24.09. 1881, KSB 6/KGB III 1, Nr. 154, S. 132, Z. 8f.). Und dennoch war er ein
überaus eifriger Leser: Er ließ sich immer wieder Bücher von Freunden und
Verwandten zuschicken, nahm Zeitschriften zur Kenntnis und besuchte Buch-
handlungen, in denen er sich über Neuerscheinungen informierte. Als Schrift-
steller stützt sich N. denn auch auf zahlreiche Quellen, aus denen er außeror-
dentlich viel schöpft. Oftmals bezieht er sich freilich nur mehr oder weniger
flüchtig auf sie als Beispiel-, Gleichnis- und Stichwortgeberinnen - in den al-
lermeisten Fällen, ohne dies nachzuweisen. Er ist trotzdem alles andere als ein
plumper Plagiator. Die Originalität seines Schreibens liegt vielmehr nicht zu-
letzt in dem eigenwilligen Umgang, den er mit seinen Quellen pflegt, indem er
sie kreativ zu eigenen Darstellungszwecken ausbeutet, dabei gerne auch ihren
Aussagegehalt umbiegt und nicht selten sogar ins Gegenteil verdreht.
Eben deshalb darf sich der Kommentar aber nicht in einem positivistischen
Sammeln von Belegstellen erschöpfen, das interpretatorisch belanglos bliebe.
Über eine derartig unfruchtbare Quellenphilologie heißt es schon in einem
Aphorismus aus Goethes Betrachtungen im Sinne der Wanderer: „Die Frage:
woher hat's der Dichter? geht auch nur auf's Was, vom Wie erfährt da-
bei niemand etwas." (Goethe 1887-1919, 1/42.2, 175) Die philologische Frage
nach dem vom ,Dichterphilosophen' N. jeweils aus seinen Quellen übernom-
menen „Was" ist mithin bei der Kommentierung zu ergänzen durch die herme-
neutische Frage nach dem „Wie" ihrer intertextuell-produktiven Verarbeitung
und Umwertung durch den Autor selbst. Vgl. hierzu schon Fries/Most 1994,
27 f., die insgesamt acht übergreifende Grundformen des Zitierens bei N. identi-
fiziert haben (Zitat, Paraphrase, Plagiat, Exzerpt, Notiz, Anregung, Reminis-
zenz, Anspielung): „Interessant ist also nicht, daß Nietzsche Quellen benutzte,
sondern welche Quellen, und vor allem wie." Zum „Nutzen und Nachteil kriti-
scher Quellenforschung" mit Blick auf N. vgl. auch Sommer 2000b, bes. 312 f.,
der zu Recht auf den interpretatorischen Mehrwert der ,genealogischen' Frage
nach dem „Woher" abhebt. Allgemein zu Nietzsche als Leser siehe außerdem
den gleichnamigen Sammelband von Anschütz/Müller/Rottmann/Souladie
2021a.
Aufgrund der entstehungsgeschichtlichen und damit verbunden auch in-
haltlichen Nähe der Erstausgabe von FW zu M gibt es hier etliche Überschnei-
2 Quellen
Da N. aufgrund seines unsteten Wanderlebens seit der krankheitsbedingten
Niederlegung seiner Basler Professur im Jahr 1879 generell nur wenige Bücher
aus seiner Privatbibliothek bei sich hatte und ihm wegen seines Augenleidens
überdies das Lesen schwerfiel, konnte er zu Beginn der Arbeit an FW von sich
sagen: „ich selber lebe ferne und ohne Bücher" (Brief an Hermann Pachnicke,
24.09. 1881, KSB 6/KGB III 1, Nr. 154, S. 132, Z. 8f.). Und dennoch war er ein
überaus eifriger Leser: Er ließ sich immer wieder Bücher von Freunden und
Verwandten zuschicken, nahm Zeitschriften zur Kenntnis und besuchte Buch-
handlungen, in denen er sich über Neuerscheinungen informierte. Als Schrift-
steller stützt sich N. denn auch auf zahlreiche Quellen, aus denen er außeror-
dentlich viel schöpft. Oftmals bezieht er sich freilich nur mehr oder weniger
flüchtig auf sie als Beispiel-, Gleichnis- und Stichwortgeberinnen - in den al-
lermeisten Fällen, ohne dies nachzuweisen. Er ist trotzdem alles andere als ein
plumper Plagiator. Die Originalität seines Schreibens liegt vielmehr nicht zu-
letzt in dem eigenwilligen Umgang, den er mit seinen Quellen pflegt, indem er
sie kreativ zu eigenen Darstellungszwecken ausbeutet, dabei gerne auch ihren
Aussagegehalt umbiegt und nicht selten sogar ins Gegenteil verdreht.
Eben deshalb darf sich der Kommentar aber nicht in einem positivistischen
Sammeln von Belegstellen erschöpfen, das interpretatorisch belanglos bliebe.
Über eine derartig unfruchtbare Quellenphilologie heißt es schon in einem
Aphorismus aus Goethes Betrachtungen im Sinne der Wanderer: „Die Frage:
woher hat's der Dichter? geht auch nur auf's Was, vom Wie erfährt da-
bei niemand etwas." (Goethe 1887-1919, 1/42.2, 175) Die philologische Frage
nach dem vom ,Dichterphilosophen' N. jeweils aus seinen Quellen übernom-
menen „Was" ist mithin bei der Kommentierung zu ergänzen durch die herme-
neutische Frage nach dem „Wie" ihrer intertextuell-produktiven Verarbeitung
und Umwertung durch den Autor selbst. Vgl. hierzu schon Fries/Most 1994,
27 f., die insgesamt acht übergreifende Grundformen des Zitierens bei N. identi-
fiziert haben (Zitat, Paraphrase, Plagiat, Exzerpt, Notiz, Anregung, Reminis-
zenz, Anspielung): „Interessant ist also nicht, daß Nietzsche Quellen benutzte,
sondern welche Quellen, und vor allem wie." Zum „Nutzen und Nachteil kriti-
scher Quellenforschung" mit Blick auf N. vgl. auch Sommer 2000b, bes. 312 f.,
der zu Recht auf den interpretatorischen Mehrwert der ,genealogischen' Frage
nach dem „Woher" abhebt. Allgemein zu Nietzsche als Leser siehe außerdem
den gleichnamigen Sammelband von Anschütz/Müller/Rottmann/Souladie
2021a.
Aufgrund der entstehungsgeschichtlichen und damit verbunden auch in-
haltlichen Nähe der Erstausgabe von FW zu M gibt es hier etliche Überschnei-