56 Die fröhliche Wissenschaft
6 Rezeptions- und Forschungsgeschichte
Dass FW heute - einigen Selbstaussagen N.s entsprechend - für manche Inter-
preten als N.s ausgewogenstes' oder sogar ,bestes' Werk gilt, das viele Themen
seines späteren Schaffens wie den ,Tod Gottes', die ,ewige Wiederkunft des
Gleichen' oder den ,Amor fati' nicht nur zum ersten Mal, sondern zugleich in
besonders gelungener Weise öffentlich mitteilt, hat durchaus schon eine gewis-
se Vorgeschichte in der N.-Rezeption seit ihren Anfängen im ausgehenden
19. Jahrhundert. Auch wenn sich die ältere Forschung - abgesehen von den
frühen Schriften GT und UB - vor allem für Za, das Spätwerk und den Nachlass
bzw. die Nachlass-Kompilation Der Wille zur Macht (WzM) interessierte, wurde
FW bereits vergleichsweise früh eine Schlüsselstellung als Dokument eines
wichtigen ,Übergangs' in N.s Gesamtwerk zugeschrieben, das seiner zukünfti-
gen Philosophie präludiere. Allerdings handelt es sich bei dieser Zuschreibung
um eine Kippfigur, insofern FW so auch schnell zum ,bloßen' Übergang erklärt
und zugunsten des Folgenden vernachlässigt werden konnte. Zwar gibt es be-
reits frühe Würdigungen der Schrift; ihre merkliche Aufwertung zum ,zen-
tralen' Werk N.s erfolgte jedoch erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahr-
hunderts.
Die frühesten Reaktionen stammen vor allem von Freunden und Bekann-
ten, denen N. die Erstausgabe direkt nach ihrem Erscheinen im August 1882
zukommen ließ und die sich in Dankesbriefen darüber äußerten. Einige taten
dies überaus wohlwollend und lobend; mehrfach begegnet die Einschätzung,
FW sei N.s bislang bestes Buch. So schrieb Heinrich Köselitz, der bereits die
Entstehung und Drucklegung von FW teilweise begleitete und dem N. das
erste Exemplar schickte (vgl. ÜK 1), am 22. August 1882, zwei Tage nach der
Auslieferung, in diesem Buch „sieht man am weitesten in Sie hinein" (KGB
III 2, Nr. 136, S. 276, Z. 10), und es enthalte (speziell am Ende des Dritten
Buchs) das „Prägnanteste[], was Sie geschrieben haben" (ebd., S. 277,
Z. 33 f.). Zugleich aber zweifelt Köselitz die breitere Verständlichkeit des
Werks an, das dafür auf einen kleinen Leserkreis umso nachhaltiger wirken
werde: „Mit diesem Beispiel werden Sie auf einige wenige Menschen, aber auf
die es allein ankommt, tiefen und ihr ganzes Leben bestimmenden Eindruck
machen" (ebd., S. 276, Z. 16-19).
Tiefen, wenn schon nicht lebensbestimmenden Eindruck scheint das
Buch zumindest auf N.s alten Schulfreund Carl von Gersdorff gemacht zu ha-
ben, der in seinem Schreiben an N. vom 11. September 1882 vermeidet: „Von
allen Deinen Schriften, seit dem Du die Bahn der Freiheit betreten hast, ge-
fällt mir diese letzte am besten. Es ist eine Stimmung darin, die mich anmu-
thet wie die Luft eines schönen klaren Septembertages, wo man sich gerne
6 Rezeptions- und Forschungsgeschichte
Dass FW heute - einigen Selbstaussagen N.s entsprechend - für manche Inter-
preten als N.s ausgewogenstes' oder sogar ,bestes' Werk gilt, das viele Themen
seines späteren Schaffens wie den ,Tod Gottes', die ,ewige Wiederkunft des
Gleichen' oder den ,Amor fati' nicht nur zum ersten Mal, sondern zugleich in
besonders gelungener Weise öffentlich mitteilt, hat durchaus schon eine gewis-
se Vorgeschichte in der N.-Rezeption seit ihren Anfängen im ausgehenden
19. Jahrhundert. Auch wenn sich die ältere Forschung - abgesehen von den
frühen Schriften GT und UB - vor allem für Za, das Spätwerk und den Nachlass
bzw. die Nachlass-Kompilation Der Wille zur Macht (WzM) interessierte, wurde
FW bereits vergleichsweise früh eine Schlüsselstellung als Dokument eines
wichtigen ,Übergangs' in N.s Gesamtwerk zugeschrieben, das seiner zukünfti-
gen Philosophie präludiere. Allerdings handelt es sich bei dieser Zuschreibung
um eine Kippfigur, insofern FW so auch schnell zum ,bloßen' Übergang erklärt
und zugunsten des Folgenden vernachlässigt werden konnte. Zwar gibt es be-
reits frühe Würdigungen der Schrift; ihre merkliche Aufwertung zum ,zen-
tralen' Werk N.s erfolgte jedoch erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahr-
hunderts.
Die frühesten Reaktionen stammen vor allem von Freunden und Bekann-
ten, denen N. die Erstausgabe direkt nach ihrem Erscheinen im August 1882
zukommen ließ und die sich in Dankesbriefen darüber äußerten. Einige taten
dies überaus wohlwollend und lobend; mehrfach begegnet die Einschätzung,
FW sei N.s bislang bestes Buch. So schrieb Heinrich Köselitz, der bereits die
Entstehung und Drucklegung von FW teilweise begleitete und dem N. das
erste Exemplar schickte (vgl. ÜK 1), am 22. August 1882, zwei Tage nach der
Auslieferung, in diesem Buch „sieht man am weitesten in Sie hinein" (KGB
III 2, Nr. 136, S. 276, Z. 10), und es enthalte (speziell am Ende des Dritten
Buchs) das „Prägnanteste[], was Sie geschrieben haben" (ebd., S. 277,
Z. 33 f.). Zugleich aber zweifelt Köselitz die breitere Verständlichkeit des
Werks an, das dafür auf einen kleinen Leserkreis umso nachhaltiger wirken
werde: „Mit diesem Beispiel werden Sie auf einige wenige Menschen, aber auf
die es allein ankommt, tiefen und ihr ganzes Leben bestimmenden Eindruck
machen" (ebd., S. 276, Z. 16-19).
Tiefen, wenn schon nicht lebensbestimmenden Eindruck scheint das
Buch zumindest auf N.s alten Schulfreund Carl von Gersdorff gemacht zu ha-
ben, der in seinem Schreiben an N. vom 11. September 1882 vermeidet: „Von
allen Deinen Schriften, seit dem Du die Bahn der Freiheit betreten hast, ge-
fällt mir diese letzte am besten. Es ist eine Stimmung darin, die mich anmu-
thet wie die Luft eines schönen klaren Septembertages, wo man sich gerne