Stellenkommentar FW Motto 1887, KSA 3, S. 343 93
Meister für seine Schüler ist. Bei N. taucht der Begriff des Meisters auch in
diesem Sinn schon früh auf, und zwar keineswegs bloß auf die Kunst, sondern
zugleich auf das (philosophische) Denken bezogen. So ist beispielsweise in
NL 1869/70, 2[23], KSA 7, 53, 6 von der Verehrung gegenüber „großen Meister[n]
der Kunst und des Gedankens" die Rede. Auch in FW werden Dichter (u.a.
Goethe) als „Meister der Prosa" (FW 92, 447, 20 u. 448, 19) bezeichnet, es wird
aber auch ironisch auf Wagner als den musikalischen „Meister des ganz Klei-
nen" angespielt (FW 87, 445, 25) sowie Schopenhauer der philosophische
„Meister" seiner „Anhänger [...] in Deutschland" genannt (FW 99, 453, 22 f.).
Der Gedanke an Wagner und Schopenhauer (als nur vorgebliche, auszulachen-
de Meister, die nicht über sich selbst lachen können; vgl. auch Georg 2015, 23)
liegt also schon im Kontext von FW nahe, und ein Blick auf das oben zitierte
Notat NL 1886/87, 6[4] „Vorreden und Nachreden", das in einer ,Vorstufe'
des Motto-Gedichts mündet, zeigt, dass darin zunächst die zwei „Meister" in
der lebens- und werkgeschichtlichen Vergangenheit des sprechenden Autor-
Ich aufgerufen werden: Es erwähnt rückblickend ausdrücklich „meine Dank-
barkeit gegen meinen ersten und einzigen Erzieher, gegen Arthur Schopenhau-
er" und ,,[m]eine Festrede zu Ehren Richard Wagners, bei Gelegenheit seiner
Bayreuther Siegesfeier" - bevor dann schließlich das Gedicht über die verlach-
ten Meister folgt (KSA 12, 232, 9 u. 232, 30-233, 1 u. 233, 9-11). In diesem Textzu-
sammenhang erscheint der Vierzeiler folglich auch als Darstellung einer Eman-
zipation von den früher verehrten Vorbildern.
Sieht man einmal vom Begriff des Meisters (in Kunst und Philosophie) ab,
mag es sich bei den Versen 3 und 4 auch um eine Anspielung auf Horaz han-
deln, in dessen Satiren I, 1, 24 f. die Frage aufgeworfen wird: „quamquam riden-
tem dicere verum / Quid vetat?" - „Doch wer wehrt's, auch lachend zu sagen
die Wahrheit?" (Horaz 1872, 2, 4) Eine Abwandlung der verkürzten Sentenz „Ri-
dendo dicere verum", die sprichwörtlich geläufig war (vgl. Büchmann 1882,
269 f.), wählte N. später als Motto für den „Turiner Brief vom Mai 1888" in WA:
„ridendo dicere severum..." - ebenfalls als Signal für Selbstironie (vgl. NK
KSA 6, 13, 3; hierzu Siemens/Hay 2015). In Anlehnung an das Originalzitat wird
bei Teuffel 1841, 429 die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, ausdrücklich
dem Satiriker Horaz zugeschrieben, der deshalb eine ,antike Modernität' besit-
ze: „Denn daß ein Mensch sich selbst tadelt, ist ein häufiger Fall und ganz in
der Ordnung; daß er aber über sich selbst lacht, setzt eine Zerrissenheit, eine
Reflexion voraus, wie sie im Alterthum nur wenige modern gefärbte Geister
(z. B. Horaz) haben konnten." Dieses reflexive Lachen „über sich selbst" würde
Horaz, der übrigens in N.s Texten zumeist gut davonkommt und auch in FW 83
(438, 32-439, 1) sowie in FW 153 (496, 6) als ,Autorität' erwähnt wird, immerhin
als vom lyrischen Ich nicht auszulachenden Meister qualifizieren.
Meister für seine Schüler ist. Bei N. taucht der Begriff des Meisters auch in
diesem Sinn schon früh auf, und zwar keineswegs bloß auf die Kunst, sondern
zugleich auf das (philosophische) Denken bezogen. So ist beispielsweise in
NL 1869/70, 2[23], KSA 7, 53, 6 von der Verehrung gegenüber „großen Meister[n]
der Kunst und des Gedankens" die Rede. Auch in FW werden Dichter (u.a.
Goethe) als „Meister der Prosa" (FW 92, 447, 20 u. 448, 19) bezeichnet, es wird
aber auch ironisch auf Wagner als den musikalischen „Meister des ganz Klei-
nen" angespielt (FW 87, 445, 25) sowie Schopenhauer der philosophische
„Meister" seiner „Anhänger [...] in Deutschland" genannt (FW 99, 453, 22 f.).
Der Gedanke an Wagner und Schopenhauer (als nur vorgebliche, auszulachen-
de Meister, die nicht über sich selbst lachen können; vgl. auch Georg 2015, 23)
liegt also schon im Kontext von FW nahe, und ein Blick auf das oben zitierte
Notat NL 1886/87, 6[4] „Vorreden und Nachreden", das in einer ,Vorstufe'
des Motto-Gedichts mündet, zeigt, dass darin zunächst die zwei „Meister" in
der lebens- und werkgeschichtlichen Vergangenheit des sprechenden Autor-
Ich aufgerufen werden: Es erwähnt rückblickend ausdrücklich „meine Dank-
barkeit gegen meinen ersten und einzigen Erzieher, gegen Arthur Schopenhau-
er" und ,,[m]eine Festrede zu Ehren Richard Wagners, bei Gelegenheit seiner
Bayreuther Siegesfeier" - bevor dann schließlich das Gedicht über die verlach-
ten Meister folgt (KSA 12, 232, 9 u. 232, 30-233, 1 u. 233, 9-11). In diesem Textzu-
sammenhang erscheint der Vierzeiler folglich auch als Darstellung einer Eman-
zipation von den früher verehrten Vorbildern.
Sieht man einmal vom Begriff des Meisters (in Kunst und Philosophie) ab,
mag es sich bei den Versen 3 und 4 auch um eine Anspielung auf Horaz han-
deln, in dessen Satiren I, 1, 24 f. die Frage aufgeworfen wird: „quamquam riden-
tem dicere verum / Quid vetat?" - „Doch wer wehrt's, auch lachend zu sagen
die Wahrheit?" (Horaz 1872, 2, 4) Eine Abwandlung der verkürzten Sentenz „Ri-
dendo dicere verum", die sprichwörtlich geläufig war (vgl. Büchmann 1882,
269 f.), wählte N. später als Motto für den „Turiner Brief vom Mai 1888" in WA:
„ridendo dicere severum..." - ebenfalls als Signal für Selbstironie (vgl. NK
KSA 6, 13, 3; hierzu Siemens/Hay 2015). In Anlehnung an das Originalzitat wird
bei Teuffel 1841, 429 die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, ausdrücklich
dem Satiriker Horaz zugeschrieben, der deshalb eine ,antike Modernität' besit-
ze: „Denn daß ein Mensch sich selbst tadelt, ist ein häufiger Fall und ganz in
der Ordnung; daß er aber über sich selbst lacht, setzt eine Zerrissenheit, eine
Reflexion voraus, wie sie im Alterthum nur wenige modern gefärbte Geister
(z. B. Horaz) haben konnten." Dieses reflexive Lachen „über sich selbst" würde
Horaz, der übrigens in N.s Texten zumeist gut davonkommt und auch in FW 83
(438, 32-439, 1) sowie in FW 153 (496, 6) als ,Autorität' erwähnt wird, immerhin
als vom lyrischen Ich nicht auszulachenden Meister qualifizieren.