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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0183
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160 Die fröhliche Wissenschaft

352, 25-31 Und kommen wir nicht eben darauf zurück, wir Wagehalse des Geis-
tes, die wir die höchste und gefährlichste Spitze des gegenwärtigen Gedankens
erklettert und uns von da aus umgesehn haben, die wir von da aus hinabge-
sehn haben? Sind wir nicht eben darin - Griechen? Anbeter der Formen, der
Töne, der Worte? Eben darum - Künstler?] In den letzten vier Fragesätzen
kommt das auktoriale Wir von den Griechen auf sich selbst zurück, um sich
nach dem Muster der ihnen zugeschriebenen ,Oberflächlichkeit aus Tiefe' eben-
falls als homo aestheticus darzustellen. Die Tiefe wird dabei freilich zu einer
Gipfel-Höhe der Erkenntnis, die dem ,oberflächlichen' „Olymp des Scheins"
kontrastiv gegenübersteht. Wenn das Wir sich (in Entsprechung zum Untertitel
des Fünften Buchs: „Wir Furchtlosen") als „Wagehalse des Geistes" bezeichnet,
die den gedanklichen Gipfel ihrer Gegenwart erklommen haben, so erscheint
dieser Aufenthaltsort des philosophischen Bergsteiger-Wir als lebensfeindliche
Wahrheits-Höhe, umgeben von „solchen Abgründen" (351, 5), wie sie zu Beginn
von FW Vorrede 4 genannt worden sind. Allerdings wird nun nur noch (andeu-
tungsweise) vom Blick in den Abgrund gesprochen, aus dem das Wir dort noch
selbst zurückgekehrt sein wollte - nachdem es im dritten Abschnitt davon ge-
sprochen hatte, dass „der grosse Schmerz [...] uns Philosophen [zwingt], in uns-
re letzte Tiefe zu steigen und alles [...] Verschleiernde [...] von uns zu thun" (350,
8-14). Offenkundig sind die Bilder austauschbar, die Metaphern beweglich: Aus
dem Hinabsteigen in die Tiefe kann ein Hinaufklettern zur Höhe werden, aus
dem Aufenthalt im Abgrund ein Blick vom Gipfel hinab in den Abgrund.
Die drei letzten rhetorischen Fragen der Vorrede suggerieren, dass in der
Umkehr - aus der Tiefe oder der Höhe - zur ästhetischen Oberfläche die ent-
scheidende Gemeinsamkeit zwischen „diesen Griechen" und dem Wir des Tex-
tes besteht. Die epanaleptische Wiederholung der Trias „Formen" - „Töne" -
„Worte", die schon vorher die drei großen Kunstgattungen evozierte, führt nun,
im allerletzten Wort der Vorrede, wieder zur ausdrücklichen Selbstbezeichnung
des sprechenden Wir als „Künstler", von der die Betrachtung des Verhältnisses
von Wahrheit und Schein, Nacktheit und Schleier ausgegangen war. Wurde an
diesem Ausgangspunkt gegenüber „dem grossen Jahrmarkts-Bumbum" (351,
16) der gegenwärtigen Kunst „eine andre Kunst" (351, 25) für „unsere Zu-
kunft" (351, 34) gefordert, eine Kunst des Vergessens, die das schmerzhafte Zu-
gut-Wissen des Philosophen in ein heiteres Gut-nicht-Wissen überführt, so will
sich das sprechende Wir in den letzten Sätzen der Vorrede fragend seines der-
artigen neuen Künstlertums vergewissern. Von Philosophie ist dabei jedenfalls
keine Rede mehr; als Manifestation des Willens zur Wahrheit will das Wir sie
endgültig hinter sich lassen - also gleichsam vom Gipfel der Erkenntnis über
den Abgrund hinweg auf den Olymp des Scheins springen. Ähnlich ausschließ-
lich lautet das Bekenntnis zu einer solchermaßen aus philosophischer Tiefe
 
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