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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0540
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Stellenkommentar FW 56, KSA 3, S. 418-419 517

419, lf. von Innen her sich eine eigene, selbsteigene Noth zu schaffen. Ihre Erfin-
dungen] Μ III 6, 2: „von innen her etwas zu leiden und sich eine Noth "zu™
schaffen: ihre Erfindsamkeiten'ungen'". Auf der gegenüberliegenden Manu-
skriptseite der Zusatz: „eigene, selbsteigene Noth zu schaffen" (Μ III 6, 3).
419, 3-6 und ihre Befriedigungen könnten wie gute Musik klingen: während sie
jetzt die Welt mit ihrem Nothgeschrei und folglich gar zu oft erst mit dem Noth-
gefühle anfüllen!] Μ III 6, 2: „und feinere Befriedigungen haben als so, wo
sieh 'ihre Befriedigungen könnten wie gute Musik klingen, anstatt daß sie, wie
jetzt der Fall ist' die Welt mit dem 'ihrem' Nothgeschrei und folglich gar zu oft
"erst' mit dem Nothgefühle erst anfüllen." Das „Nothgeschrei" kommt bei N.
laut eKGWB nur an der zu kommentierenden Stelle vor - im Gegensatz zum
„Nothschrei" bzw. „Nothschreien", wofür es zwischen 1881 und 1889 mehrere
Belegstellen gibt, die meisten davon in Za IV, wo ein eigenes Kapitel „Der Noth-
schrei" betitelt ist. Zu Bezügen und Kontexten vgl. NK KSA 4, 301, 16-23. Ein
einzelnes „Nothgefühl" findet sich noch in NL 1873, 29[87], KSA 7, 669, 24 f.,
wo aber bedauert wird, dass es in der Sprechgegenwart nur schwach ausge-
prägt ist: „Wie kommt es, dass das Nothgefühl so schwach geworden ist?
Von der schwachen Persönlichkeit."
419, 7 f. so malen sie das Unglück Anderer an die Wand] Variation auf den Phra-
seologismus: „Den Teufel an die Wand malen." (Wander 1867-1880, 4, 1112)
Zugleich Anspielung auf das Menetekel in Daniel 5 (vgl. auch NK 646, 15 f.). In
M III 6, 2 „Unglück" korrigiert aus: „Noth".
419, 9 f. Verzeihung, meine Freunde, ich habe gewagt, mein Glück an die Wand
zu malen.] Diese abschließende Bitte um „Verzeihung" bezieht sich offensicht-
lich nicht auf das unmittelbar Vorangehende; sondern das an die Wand gemal-
te Glück des Sprechers kontrastiert gerade mit der zuvor genannten unglückli-
chen Wandmalerei der „Nothsüchtigen" (418, 31f.). Das in Rede stehende
Glück besteht vielmehr in der Zukunftsvision der aus der eigenen Not heraus
zu schaffenden feinen „Erfindungen" und wohlklingenden „Befriedigungen"
aus 419, 3. Deutlich überboten wird jenes Glücks-Fresko noch durch die in der
Vorrede zur Neuausgabe von 1887 genannte „Wollust einer triumphirenden
Dankbarkeit, welche sich zuletzt noch in kosmischen Majuskeln an den Him-
mel der Begriffe" (347, 14-16) schreibt und ihrerseits „Nothstände" (347, 17)
im Rücken hat. Vgl. auch die im Schlusssatz von FW 12 vor dem Hintergrund
gesteigerter „Schmerzhaftigkeit" (384, 6) hypothetisch aufleuchtenden „Ster-
nenwelten der Freude" (384, 16). Babich 2020, 56 bringt das am Ende von
FW 56 an die Wand gemalte „Glück" in Zusammenhang mit den Darstel-
lungen einer „Epicurean happiness" bei N. (zum Glück Epikurs siehe NK 411,
5-12).
 
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