742 Die fröhliche Wissenschaft
phie und Kunst, das kaum mit der (in der Forschung gern als Deutungsfolie
herangezogenen) Schlusspartie der Vorrede zu vermitteln ist, in der es um etwas
ganz anderes geht als um zeitweilige Erholungsphasen in der Kunst, nämlich
vielmehr darum, wie angeblich einst die Griechen, für immer „tapfer bei der
Oberfläche [...] stehen zu bleiben" (352, 22 f.).
Die chiastische Verschränkung von Weisheit und Torheit, die sich bei N.
häufiger findet, geht - als Kontrafaktur - auf die Bibel zurück, vgl. 1. Korinther
3, 19: „Denn dieser Welt Weisheit ist Thorheit bey GOtt." (Die Bibel: Neues
Testament 1818, 199) Besonders prominent im Werk N.s ist der Ausspruch Zara-
thustras in FW 342 sowie gleichlautend in „Zarathustra's Vorrede": „ich
möchte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den Menschen wie-
der einmal ihrer Thorheit [...] froh geworden sind." (571, 16-19 = Za I, KSA 4,
11, 19-21) Zur Bezeichnung des Verhältnisses von Wissenschaft und Kunst bzw.
konkreter: Philosophie und Dichtung benutzt N. die chiastische Verschränkung
auch im Brief an Köselitz vom 13. Juli 1882, in dem er mit Bezug auf seine im
Mai dieses Jahres erschienene Gedichtsammlung IM schreibt: „es steht mit mei-
ner Dichterei nicht zum Besten. Aber was liegt daran! Man soll sich seiner
Thorheiten nicht schämen, sonst hat unsre Weisheit wenig Werth." (KSB 6/
KGB III 1, Nr. 263, S. 221 f., Z. 10-12) Zur spezifischen „Würde der Thorheit"
vgl. schon im Ersten Buch FW 20.
465, 2 f. weil wir im letzten Grunde schwere und ernsthafte Menschen und mehr
Gewichte als Menschen sind] Vgl. die Selbstcharakterisierung des lyrischen Ich
in NK FW Vorspiel 44 als ,pfundschwerer Gründlicher'. Zur Gewichtsmetapher,
die in FW mehrmals begegnet, siehe NK 373, 8-13.
465, 3 f. so thut uns Nichts so gut als die Schelmenkappe] Vgl. die Formulie-
rung des Titelhelden in Laurence Sternes Roman Tristram Shandy, den N.
mehrmals erwähnt: „[I] should sometimes put on a fool's cap with a bell to it"
(Sterne 1848, 9). Zum Sterne-Bezug von FW 107 siehe auch Vivarelli 1998, 154.
Deutlich negativer konnotiert war die Anspielung auf die Schellenkappe des
dichterischen Narren im Shakespeare-Abschnitt FW 98; vgl. NK 453, 7-9.
465, 8-12 Es wäre ein Rückfall für uns, gerade mit unsrer reizbaren Redlich-
keit ganz in die Moral zu gerathen und um der überstrengen Anforderungen wil-
len, die wir hierin an uns stellen, gar noch selber zu tugendhaften Ungeheuern
und Vogelscheuchen zu werden.] Offenbar birgt die „Redlichkeit" nicht nur die
Gefahr, durch wissenschaftliche Desillusionierung zum Lebensverdruss zu füh-
ren (vgl. NK 464, 10-19), sondern überdies auch die Gefahr eines Rückfalls in
die Moral. Vgl. den oben bereits zitierten Abschnitt JGB 227, wo diese Gefahr
ebenfalls angesprochen wird: „Unsre Redlichkeit, wir freien Geister, - sorgen
wir dafür, dass sie nicht unsre Eitelkeit, unser Putz und Prunk, unsre Grenze,
phie und Kunst, das kaum mit der (in der Forschung gern als Deutungsfolie
herangezogenen) Schlusspartie der Vorrede zu vermitteln ist, in der es um etwas
ganz anderes geht als um zeitweilige Erholungsphasen in der Kunst, nämlich
vielmehr darum, wie angeblich einst die Griechen, für immer „tapfer bei der
Oberfläche [...] stehen zu bleiben" (352, 22 f.).
Die chiastische Verschränkung von Weisheit und Torheit, die sich bei N.
häufiger findet, geht - als Kontrafaktur - auf die Bibel zurück, vgl. 1. Korinther
3, 19: „Denn dieser Welt Weisheit ist Thorheit bey GOtt." (Die Bibel: Neues
Testament 1818, 199) Besonders prominent im Werk N.s ist der Ausspruch Zara-
thustras in FW 342 sowie gleichlautend in „Zarathustra's Vorrede": „ich
möchte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den Menschen wie-
der einmal ihrer Thorheit [...] froh geworden sind." (571, 16-19 = Za I, KSA 4,
11, 19-21) Zur Bezeichnung des Verhältnisses von Wissenschaft und Kunst bzw.
konkreter: Philosophie und Dichtung benutzt N. die chiastische Verschränkung
auch im Brief an Köselitz vom 13. Juli 1882, in dem er mit Bezug auf seine im
Mai dieses Jahres erschienene Gedichtsammlung IM schreibt: „es steht mit mei-
ner Dichterei nicht zum Besten. Aber was liegt daran! Man soll sich seiner
Thorheiten nicht schämen, sonst hat unsre Weisheit wenig Werth." (KSB 6/
KGB III 1, Nr. 263, S. 221 f., Z. 10-12) Zur spezifischen „Würde der Thorheit"
vgl. schon im Ersten Buch FW 20.
465, 2 f. weil wir im letzten Grunde schwere und ernsthafte Menschen und mehr
Gewichte als Menschen sind] Vgl. die Selbstcharakterisierung des lyrischen Ich
in NK FW Vorspiel 44 als ,pfundschwerer Gründlicher'. Zur Gewichtsmetapher,
die in FW mehrmals begegnet, siehe NK 373, 8-13.
465, 3 f. so thut uns Nichts so gut als die Schelmenkappe] Vgl. die Formulie-
rung des Titelhelden in Laurence Sternes Roman Tristram Shandy, den N.
mehrmals erwähnt: „[I] should sometimes put on a fool's cap with a bell to it"
(Sterne 1848, 9). Zum Sterne-Bezug von FW 107 siehe auch Vivarelli 1998, 154.
Deutlich negativer konnotiert war die Anspielung auf die Schellenkappe des
dichterischen Narren im Shakespeare-Abschnitt FW 98; vgl. NK 453, 7-9.
465, 8-12 Es wäre ein Rückfall für uns, gerade mit unsrer reizbaren Redlich-
keit ganz in die Moral zu gerathen und um der überstrengen Anforderungen wil-
len, die wir hierin an uns stellen, gar noch selber zu tugendhaften Ungeheuern
und Vogelscheuchen zu werden.] Offenbar birgt die „Redlichkeit" nicht nur die
Gefahr, durch wissenschaftliche Desillusionierung zum Lebensverdruss zu füh-
ren (vgl. NK 464, 10-19), sondern überdies auch die Gefahr eines Rückfalls in
die Moral. Vgl. den oben bereits zitierten Abschnitt JGB 227, wo diese Gefahr
ebenfalls angesprochen wird: „Unsre Redlichkeit, wir freien Geister, - sorgen
wir dafür, dass sie nicht unsre Eitelkeit, unser Putz und Prunk, unsre Grenze,