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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0104
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84 Jenseits von Gut und Böse

16, 3 f. Oder der Wille zur Wahrheit aus dem Willen zur Täuschung?] Vgl. NK 15,
4.
16, 12 im verborgenen Gotte] Die Vorstellung vom „verborgenen Gott“ ist be-
reits biblisch: „Fürwahr, Du bist ein verborgener GOtt, du Gott Israels“ (Jesaia
45, 15 - Die Bibel: Altes Testament 1818, 708, vgl. Römer 1, 19 f.). Sie wurde
bei Nicolaus Cusanus in seinem Dialogus de Deo abscondito (1444) zu einem
philosophischen Begriff veredelt, der allerdings etwa in Martin Luthers De ser-
vo arbitrio (1525) wieder in seine offenbarungstheologischen Ursprungskontex-
te zurückversetzt wurde. Dort ist auch der Gebrauch angesiedelt, den Blaise
Pascal vom Konzept des deus absconditus machte und auf den sich M 91, KSA
3, 85, 5-8 bezog: „Über den »verborgenen Gott4 und über die Gründe, sich so
verborgen zu halten und immer nur halb mit der Sprache an’s Licht zu kom-
men, ist Niemand beredter gewesen, als Pascal“. Dazu gibt es einige einschlä-
gige Stellen in der von N. benutzten Pascal-Übersetzung (Pascal 1865, 1, 38; 1,
57; 2, 4; 2, 95 u. 2, 121 f. Nachweise in KSA 14, 209, vgl. auch Vivarelli 1998,
100 f.). So heißt es bei Pascal z. B.: „Da Gott also verborgen ist, so ist jede Reli-
gion, welche nicht behauptet, daß Gott verborgen sei, falsch; und jede Religi-
on, welche hierüber nicht Rede und Antwort steht, belehrt nicht. Die unsrige
leistet dieses Alles: vere tu es Deus absconditus.“ (Pascal 1865, 2, 122) Der
Rückgriff auf den „verborgenen Gott“ diente Pascal also als Totschlagargu-
ment, um jede andere Religionsform zu diskreditieren. In analoger Weise ver-
fährt laut JGB 2 ein „Metaphysiker“, der „die Dinge höchsten Werthes“ (KSA 5,
16, 7f.) eben nicht in Gegensätzen, sondern im „Sein“, im „Unvergänglichen“,
im ,„Ding an sich“4 oder eben im „verborgenen Gotte“ (16, 11 f.) gegründet wis-
sen will und jede andere Auffassung von vornherein als falsch zurückweist.
Vgl. NK 72, 26-73, 3.
16, 12 f. im „Ding an sich“] Die Polemik gegen Kants Konzept ist schon in
Menschliches, Allzumenschliches virulent (MA I 10, KSA 2, 30 u. MA I 16, KSA
2, 36-38) und setzt sich bis in N.s Spätwerk fort (vgl. NK KSA 6, 130, 1-3 u.
Riccardi 2009, ferner Schönfeld 2013/14). Gemäß Kants kritischer Transzenden-
talphilosophie gibt es strenge wissenschaftliche Erkenntnis zwar nur von Ge-
genständen, die in sinnlicher Anschauung »erscheinen4 können, jedoch postu-
liert Kant zugleich, „daß wir eben dieselben Gegenstände auch als Dinge an
sich selbst, wenn gleich nicht erkennen, doch wenigstens müssen den-
ken können. Denn sonst würde der ungereimte Satz daraus folgen, daß Er-
scheinung ohne etwas wäre, was da erscheint“ (Immanuel Kant: Kritik der rei-
nen Vernunft B XXVI f.). In seiner Nichterkennbarkeit liegt das „Ding an sich“
auf derselben Linie wie der in JGB 2 eben erwähnte „verborgene Gott“.
16, 13 nirgendswo!“] In einer früheren Fassung von W I 7 heißt es ausführli-
cher: „Nirgendswo! Noch entschlossener geredet: Dinge und Zustände höchs-
 
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