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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0106
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86 Jenseits von Gut und Böse

verso. In der Standard-Ausgabe von Adam und Tannery findet sich nur das
französische Original: „si on deuoit mettre toutes choses en doute“, „ob man
alle Dinge in Zweifel ziehen müsste“. Descartes 1904, 9/2, 6). Ohne Gerundiv,
einfach infinitivisch „de omnibus dubitare“ verwendet Descartes den Gedan-
ken sehr wohl, so in den Principia philosophiae 138 (Descartes 1672, 9 = Descar-
tes 1905, 8/1, 19). Im 19. Jahrhundert war hingegen die von N. benutzte For-
mulierung sehr geläufig, wesentlich angeregt durch Hegels Diktum in den Vor-
lesungen über die Geschichte der Philosophie: „De omnibus dubitandum est,
war der erste Satz des Cartesius, — dieß Versenken aller Voraussetzungen
und Bestimmungen selbst.“ (Hegel 1836, 15, 335; vgl. auch Sören Kierkegaards
Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est von 1843.) So kehrt sie an
herausgehobener Stelle in philosophiehistorischen Übersichtsdarstellungen
wieder (z. B. in Dühring 1869, 259 [fehlt in Dühring 1873, 261]; Falckenberg
1886, 61. Zu N. und Falckenberg siehe NK 6/1, S. 12). N. wird der Formel
auf diesem sekundären Weg begegnet sein, vielleicht schon 1865 als Student
in Bonn beim Besuch von Carl Schaarschmidts Vorlesung Allgemeine Ge-
schichte der Philosophie. In seinem Buch über Descartes und Spinoza hatte
dieser das „De omnibus dubitandum“ jedenfalls auch benutzt (Schaar-
schmidt 1850, 20).
Der philosophiehistorische Rückverweis in 16, 23 hat den Zweck zu de-
monstrieren, dass selbst bei Descartes der Zweifel nicht tief genug reichte, um
das Vorhandensein von Gegensätzen zu problematisieren. Zur Interpretation
siehe auch Ottmann 1999, 172.
16, 28-31 vielleicht noch dazu aus einem Winkel heraus, vielleicht von Unten
hinauf, Frosch-Perspektiven gleichsam, um einen Ausdruck zu borgen, der den
Malern geläufig ist?] Bei N. lässt sich der Ausdruck „Froschperspective“ erst-
mals in NL 1885, KSA 11, 36[41], 568, 1-5 (entspricht KGW IX 4, W I 4, 18, 18-
24) nachweisen: „Die Kleinheit und Erbärmlichkeit der deutschen Seele, ihr
theils genüßliches, theils neidisches Im-Winkel-sitzen, ihre eingefleischte
,Kleinstädterei4, um an Kotzebue zu erinnern, ihre »Froschperspektive4 für alle
hohen Dinge, um mit den Malern zu reden, — wie schmerzlich-“. Unter
N.s Büchern hat sich eine Reclam-Ausgabe von August von Kotzebues Lust-
spiel Die deutschen Kleinstädter erhalten (NPB 333, vgl. NK 184, 27-29). Auch
36[41] verweist wie JGB 2 auf den ästhetischen Hintergrund der an der dritten
einschlägigen Stelle in NL 1885, KSA 11, 40[44], 652, 2 (KGW IX 4, W I 7, 53,
44-46: „eine Art Frosch-Perspektive der Moral“) gleichfalls in übertragenem
Sinne gebrauchten Froschperspektive. In der kunstwissenschaftlichen Litera-
tur der Zeit ist sie weit verbreitet (z. B. bei Vischer 1851, 3, 550 oder bei Lübke
1871, 761. N. schenkte seiner Schwester einen Band von Wilhelm Lübke, siehe
N.s Brief an Franziska und Elisabeth Nietzsche, 23.12.1871, KSB 3/KGB II/l,
 
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