302 Jenseits von Gut und Böse
in Ree 2004, 555 u. 741 f.) Hier lauert noch nicht die Gefahr der Selbstverausga-
bung durch allzu lasche Gastfreundschaft, die reichlich gibt, ohne zu nehmen.
Die Kritik, die JGB 41 aufnimmt, findet sich elaboriert bereits in NL 1885/86,
KSA 12, 2[1], 67, 1-8: „Es giebt eine vornehme und gefährliche Nachlässigkeit,
welche einen tiefen Schluß und Einblick gewährt: die Nachlässigkeit der über-
reichen Seele, die sich nie um Freunde bemüht hat, sondern nur die Gast-
freundschaft kennt, immer nur Gastfreundschaft übt und zu üben versteht —
Herz und Haus offen für Jedermann, der eintreten will, seien es nun Bettler
oder Krüppel oder Könige. Dies ist die ächte Leutseligkeit: wer sie hat, hat
hundert,Freunde4, aber wahrscheinlich keinen Freund.“ (Die unredigierte Fas-
sung in KGW IX 5, W I 8, 283, 10-18. Zur zentralen Sozialfunktion der Gast-
freundschaft in der griechischen Antike hat N. sich durch Leopold Schmidts
Ethik der alten Griechen auf den Stand der Forschung bringen lassen können,
vgl. Schmidt 1882, 2, 325-336.) In JGB 207, KSA 5, 135, 33-136, 3 wird der Vor-
wurf einer wahllosen Gastfreundschaft an den „objektiven Menschen“ und den
„Gelehrten“ adressiert, die sich grundlegend vom wahren Philosophen unter-
scheiden sollen. Immerhin gibt es beim späten N. auch eine „vornehme Gast-
freundschaft“, vgl. NK 6/1, S. 475.
42.
JGB 42 inszeniert einen höchst wirkungsvollen Kontrast zur Adaption und
Überbietung stoischer Versatzstücke in JGB 41: Dort schien alles darauf ange-
legt, den Philosophen von Versuchungen fernzuhalten, die ihn von seinem in-
tellektuellen Kerngeschäft ablenken. Nun wird der heraufkommende Philo-
soph der Zukunft als ein Versuchender und zugleich als ein Versucher, damit
als diabolisch-verlockende Figur vorgestellt. Jenseits von Gut und Böse hat als
Schrift insgesamt temptatorische Züge: Sie will in Versuchung führen und die
Leser zur Preisgabe gewohnter Sicherheiten verlocken (vgl. NK ÜK JGB, Ab-
schnitt 4).
Die erste Fassung von JGB 42 findet sich in KGW IX 4, W I 6, 3, 2-14:
„Eine neue Gattung von Philosophen kommt herauf: ich wage es sie auf nicht
ungefährlichen Namen zu taufen. Sowie ich sie kenne, sowie ich mich selber
kenne - denn ich gehöre zu diesen Kommenden - werden diese Philosophen
der Zukunft aus vielen Gründen, auch aus manchem unaussprechbaren Grun-
de, damit zufrieden sein, als Versucher bezeichnet zu werden. Dieser Name
selber ist zuletzt nur ein Versuch und, wenn man will, eine Versuchung.“ (Mit
N.s Korrekturen findet sich der Text auch in KGW IX 1, N VII 1, 18, 1-22, dort
ausdrücklich mit „Vorrede“ und „Die Versucher“ überschrieben.) Im Unter-
schied zur Druckfassung rechnet das sprechende Ich sich hier explizit zu den
in Ree 2004, 555 u. 741 f.) Hier lauert noch nicht die Gefahr der Selbstverausga-
bung durch allzu lasche Gastfreundschaft, die reichlich gibt, ohne zu nehmen.
Die Kritik, die JGB 41 aufnimmt, findet sich elaboriert bereits in NL 1885/86,
KSA 12, 2[1], 67, 1-8: „Es giebt eine vornehme und gefährliche Nachlässigkeit,
welche einen tiefen Schluß und Einblick gewährt: die Nachlässigkeit der über-
reichen Seele, die sich nie um Freunde bemüht hat, sondern nur die Gast-
freundschaft kennt, immer nur Gastfreundschaft übt und zu üben versteht —
Herz und Haus offen für Jedermann, der eintreten will, seien es nun Bettler
oder Krüppel oder Könige. Dies ist die ächte Leutseligkeit: wer sie hat, hat
hundert,Freunde4, aber wahrscheinlich keinen Freund.“ (Die unredigierte Fas-
sung in KGW IX 5, W I 8, 283, 10-18. Zur zentralen Sozialfunktion der Gast-
freundschaft in der griechischen Antike hat N. sich durch Leopold Schmidts
Ethik der alten Griechen auf den Stand der Forschung bringen lassen können,
vgl. Schmidt 1882, 2, 325-336.) In JGB 207, KSA 5, 135, 33-136, 3 wird der Vor-
wurf einer wahllosen Gastfreundschaft an den „objektiven Menschen“ und den
„Gelehrten“ adressiert, die sich grundlegend vom wahren Philosophen unter-
scheiden sollen. Immerhin gibt es beim späten N. auch eine „vornehme Gast-
freundschaft“, vgl. NK 6/1, S. 475.
42.
JGB 42 inszeniert einen höchst wirkungsvollen Kontrast zur Adaption und
Überbietung stoischer Versatzstücke in JGB 41: Dort schien alles darauf ange-
legt, den Philosophen von Versuchungen fernzuhalten, die ihn von seinem in-
tellektuellen Kerngeschäft ablenken. Nun wird der heraufkommende Philo-
soph der Zukunft als ein Versuchender und zugleich als ein Versucher, damit
als diabolisch-verlockende Figur vorgestellt. Jenseits von Gut und Böse hat als
Schrift insgesamt temptatorische Züge: Sie will in Versuchung führen und die
Leser zur Preisgabe gewohnter Sicherheiten verlocken (vgl. NK ÜK JGB, Ab-
schnitt 4).
Die erste Fassung von JGB 42 findet sich in KGW IX 4, W I 6, 3, 2-14:
„Eine neue Gattung von Philosophen kommt herauf: ich wage es sie auf nicht
ungefährlichen Namen zu taufen. Sowie ich sie kenne, sowie ich mich selber
kenne - denn ich gehöre zu diesen Kommenden - werden diese Philosophen
der Zukunft aus vielen Gründen, auch aus manchem unaussprechbaren Grun-
de, damit zufrieden sein, als Versucher bezeichnet zu werden. Dieser Name
selber ist zuletzt nur ein Versuch und, wenn man will, eine Versuchung.“ (Mit
N.s Korrekturen findet sich der Text auch in KGW IX 1, N VII 1, 18, 1-22, dort
ausdrücklich mit „Vorrede“ und „Die Versucher“ überschrieben.) Im Unter-
schied zur Druckfassung rechnet das sprechende Ich sich hier explizit zu den