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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0323
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Stellenkommentar JGB 42, KSA 5, S. 59 303

„Philosophen der Zukunft“. Fast wortgleich taucht der Text von JGB 42 in den
von N. im Sommer 1885 Louise Röder-Wiederhold diktierten Niederschriften
auf, dort nahtlos gefolgt von einer Vorstufe des schließlich zu JGB 43 und zu
einem Teil der Vorrede von JGB gewordenen Textes (Dns Mp XVI, BL 42r -
Röllin 2012, 216 f.).
Eine frühere Disposition zu Jenseits von Gut und Böse führt als 11. Haupt-
stück des Werkes: „Die Versucher. Philosophen der Zukunft“ an (KGW IX 5, W
I 8, 159; vgl. auch das bei Born/Pichler (Hg.) 2013, 337 faksimilierte Blatt N VII
2, 123); schon M 432, KSA 3, 266, 2 hat mit ,,Forscher[n] und Versu-
cher [n]“ unverhohlen sympathisiert. In NL 1885, KSA 11, 36[17], 558, 4-9
(entspricht KGW IX 4, W I 4, 34, 10-18) brachte N. die „Philosophen“ als „Ver-
sucher“ in einen wirkungsvollen Gegensatz zu den landläufigen „Freiden-
kern“, die von ihren behäbigen Gewissheiten nicht Abstand nehmen wollen:
„In allen Ländern Europas und ebenso in Nordamerika giebt es jetzt »Freiden-
ker4: gehören sie zu uns? Nein, meine Herren, ihr wollt ungefähr das Gegen-
theil von dem, was in den Absichten jener Philosophen liegt, welche ich Ver-
sucher nenne; diese spüren wenig Versuchung, mit euch lügnerische Artigkei-
ten auszutauschen.“ Bei NL 1885, KSA 11, 37[8], 581, 32-582, 2 (entspricht KGW
IX 4, W I 6, 41, 37-42) fällt auf, dass die „Versucher-Kunst“ nicht nur der „Teu-
felei“ beigeordnet ist, sondern ebenso dem „Stoicismus“, wenn es heißt, „daß
Gefahr, Härte, Gewaltsamkeit, Gefahr auf der Gasse wie im Herzen, Ungleich-
heit der Rechte, Verborgenheit, Stoicismus, Versucher-Kunst, Teufelei jeder
Art, kurz der Gegensatz aller Heerden-Wünschbarkeiten, zur Erhöhung des Ty-
pus Mensch nothwendig sind“. Sehr ähnlich kehrt das wieder in JGB 44, KSA
5, 61, 31-62, 1. Dies eröffnet interpretatorische Wege, JGB 42 an JGB 41 anzu-
koppeln, anstatt auf dem Gegensatz beider Abschnitte zu beharren.
59, 24-27 Eine neue Gattung von Philosophen kommt herauf: ich wage es, sie
auf einen nicht ungefährlichen Namen zu taufen. So wie ich sie errathe, so wie
sie sich errathen lassen — denn es gehört zu ihrer Art, irgend worin Räthsel blei-
ben zu wollen —] Die topische Assoziation von Erraten und Rätsel erinnert
an die philologische Methode der Konjektur, die eine verderbte oder fehlende
Textstelle durch Erraten ergänzt, eben divinatorisch ist (vgl. auch Brotbeck
1990,156 u. Benne 2005,119). Dass das Erraten nie zu einer letzten und eindeu-
tigen Lösung kommt und die „Philosophen der Zukunft“ immer rätselhaft blei-
ben, gehört augenscheinlich zu ihrem Geschäftsmodell: Sie wollen sich interes-
sant machen und interessant bleiben.
59, 28-31 möchten diese Philosophen der Zukunft ein Recht, vielleicht auch ein
Unrecht darauf haben, als Versucher bezeichnet zu werden. Dieser Name
selbst ist zuletzt nur ein Versuch, und, wenn man will, eine Versuchung.] Die
 
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