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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0520
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500 Jenseits von Gut und Böse

bzw. Preisschrift über die Grundlage der Moral [Schopenhauer 1873-1874, 4/2,
III u. 103]). Der Auszug in NL1884, KSA 11, 26[85] beginnt tatsächlich auf S. 136
von Band 4/2 der von N. benutzten Sämmtlichen Werke Schopenhauers, wäh-
rend der zweite, in JGB 186 wieder verwendete Passus erst auf der nächsten
Seite folgt. Die dreifache Hervorhebung des „eigentlich“ im Drucktext von
JGB 186 rührt von N. selbst, nicht von Schopenhauer her, bei dem es ohne N.s
Auslassungen heißt: „Das Princip oder der oberste Grundsatz einer Ethik
ist der kürzeste und bündigste Ausdruck für die Handlungsweise, die sie vor-
schreibt, oder, wenn sie keine imperative Form hätte, die Handlungsweise,
welcher sie eigentlichen moralischen Werth zuerkennt. Es ist mithin ihre,
durch einen Satz ausgedrückte Anweisung zur Tugend überhaupt, also das
Ö, Ti der Tugend. — Das Fundament einer Ethik hingegen ist das öioti der
Tugend, der Grund jener Verpflichtung oder Anempfehlung oder Belobung,
er mag nun in der Natur des Menschen, oder in äußern Weltverhältnissen, oder
worin sonst gesucht werden. Wie in allen Wissenschaften sollte man auch
in der Ethik das Ö, ti vom öioti deutlich unterscheiden. Die meisten Ethiker
verwischen hingegen geflissentlich diesen Unterschied: wahrscheinlich weil
das Ö, ti so leicht, das öioti, hingegen so entsetzlich schwer anzugeben ist;
daher man gern die Armuth auf der einen Seite durch den Reichthum auf
der andern zu kompensiren und mittelst Zusammenfassung beider in ei-
nen Satz, eine glückliche Vermählung der Hevia mit dem Hopoc; zu Stande
zu bringen sucht. Meistens /137/ geschieht dies dadurch, daß man das Jedem
wohlbekannte Ö, ti nicht in seiner Einfachheit ausspricht, sondern es in eine
künstliche Formel zwängt, aus der es erst als Konklusion gegebener Prämissen
geschlossen werden muß, wobei dann dem Leser zu Muthe wird, als hätte er
nicht bloß die Sache, sondern anch den Grund der Sache erfahren. Hievon
kann man sich an den meisten allbekannten Moralprincipien leicht überzeu-
gen. Da nun aber ich, im folgenden Theil, dergleichen Kunststücke nicht auch
vorhabe, sondern ehrlich zu verfahren und nicht das Princip der Ethik zu-
gleich als ihr Fundament geltend zu machen, vielmehr beide ganz deutlich
zu sondern gedenke; so will ich jenes Ö, ti also das Princip, den Grund-
satz, über dessen Inhalt alle Ethiker eigentlich einig sind, in so verschiedene
Formen sie ihn auch kleiden, gleich hier auf den Ausdruck zurückführen, den
ich für den allereinfachsten und reinsten halte: neminem laede, imo omnes,
quantum potes, juva. Dies ist eigentlich der Satz, welchen zu begründen
alle Sittenlehrer sich abmühen, das gemeinsame Resultat ihrer so verschieden-
artigen Deduktionen: es ist das Ö, ti, zu welchem das öioti noch immer gesucht
wird, die Folge, zu der man den Grund verlangt, folglich selbst erst das Datum,
zu welchem das Quaesitum das Problem jeder Ethik, wie auch der vorliegen-
den Preisfrage ist. Die Lösung dieses Problems wird das eigentliche Funda-
 
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