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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0522
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502 Jenseits von Gut und Böse

sen Schriftstellern werden wir ausschliesslich von unserem eigenen Interesse
beherrscht“. Die dazugehörige Fußnote 1 bringt auch ein einschlägiges Helveti-
us-Zitat. Vgl. z. B. Laas 1882, 2, 174 u. 182). An dieser Nachlass-Stelle von 1885
wird das Schopenhauer-Zitat (ohne Nennung Schopenhauers) als Neutralisie-
rungsmittel gegen den umfassenden Anspruch des Utilitarismus verwendet -
ohne hier freilich selber als „Fundament der Ethik“ zustimmungsfähig zu sein.
Vgl. zur Moral der Nichtverletzung auch NK ÜK JGB 259.
Über Schopenhauers Flötenspiel konnte sich N. bei dessen Biographen
Wilhelm Gwinner kundig machen, der berichtet: „In dieser geistigen Samm-
lung verharrte er [sc. Schopenhauer] bei seiner Arbeit den ganzen Vormittag.
In späteren Jahren nahm er in der zweiten Hälfte desselben Besuche an. Da er
im Flusse des Gesprächs die Stunde leicht vergass, so erschien um /529/ Mittag
seine Dienerin und gab das Zeichen zum Aufbruch. Vor dem Ankleiden spielte
er in der Regel eine halbe Stunde Flöte“ (Gwinner 1878, 528 f.).
107, 4f. in einer Welt, deren Essenz Wille zur Macht ist] Wie in JGB 36, KSA 5,
55, 25 f. legt hier eine Parenthese scheinbar apodiktisch den „Willen zur Macht“
als Weltsubstanz fest, ohne sich im Geringsten um Explikation oder gar Be-
weisführung zu scheren. Diese Art der Nebensatz-Ontologie setzt voraus, was
vorauszusetzen eigentlich nicht statthaft ist. Für die Kritik am philosophischen
Moralbegründungswahn ist der Einschub zum „Willen zur Macht“ in 107, 4f.
nicht konstitutiv, ja nicht einmal für die Attacke gegen Schopenhauer, hat doch
NL 1884, KSA 11, 26[85], 171, 19-172, 24 dieselbe Schopenhauer-Stelle wegen
ihrer sklavenmoralischen Attitüde ins Visier genommen, ohne eine Referenz
auf den „Willen zur Macht“ zu benötigen, vgl. NK 106, 24-107, 11. Dellinger
2013b, 170 weist darauf hin, dass die Parenthese „in einer Welt, deren Essenz
Wille zur Macht ist“ im Druckmanuskript eine nachträgliche Einfügung war
(DM JGB 186. D 18, 46 r, abgebildet in Born/Pichler 2013, 350, Abb. 16). „Der
,Wille zur Macht4 fungiert als nachträgliches (pseudo-)theoretisches Supple-
ment einer konträren normativen Haltung und ist als solches nicht neutrales
Fundament, sondern seinerseits schon Produkt von Nietzsches Gegen-Moral“
(Dellinger 2013b, 171).

187.
JGB 187 nimmt die Pluralität der Moralen beim Wort und fragt, was die jeweili-
ge Moral über denjenigen aussagt, der ihr anhängt. Dabei werden unterschied-
liche Funktionen herausgestellt: die Funktion der Rechtfertigung vor Dritten,
die Funktion der Selbstberuhigung und Selbstzufriedenstellung, die Funktion
der Selbstquälerei und Selbstdemütigung, die Funktion der Rache, die Funkti-
 
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