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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0582
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562 Jenseits von Gut und Böse

JGB 204 ihn nun dezidiert entstellt: anstelle des bestimmten Artikels „la“ tritt das
Possessivpronomen „ses“, anstelle des Singulars „plaie“ der Plural „plaies“.
„Seine Wunden zeigen“, „montrer ses plaies“, ist wiederum eine eingespielte
theologische Sprechweise, die sich auf die Wundmale bezieht, die Jesus dem
ungläubigen Thomas präsentiert hat (Johannes 20, 25-29). Die Formulierung
findet sich beispielsweise in einer Osterdienstagspredigt des berühmten Kan-
zelredners Antoine Anselme (1652-1737): den Jüngern „montrer ses plaies etait
donc la preuve la plus propre“, „seine Wunden zu zeigen, war also der eigent-
lichste Beweis“, nämlich für die Auferstehung (Anselme 1845, 852).
129,13-16 wie Frauen und Künstler gegen die Wissenschaft zu reden („ach,
diese schlimme Wissenschaft! seufzt deren Instinkt und Scham, sie kommt immer
dahinter!“)] Vgl. NK 95, 11-13.
129, 16-19 Die Unabhängigkeits-Erklärung des wissenschaftlichen Menschen,
seine Emancipation von der Philosophie, ist eine der feineren Nachwirkungen des
demokratischen Wesens und Unwesens] Bis in die Formulierung hinein folgt
dieser Passus Eugen Dührings Selbstdarstellung Sache, Leben und Feinde von
1882, die sich unter N.s Büchern erhalten hat. Dührings Vorwurf lautet gerade:
„Philosophie ist [...] in ihrer heutigen Gestalt nur etwas für Gelehrte oder viel-
mehr für Verlehrte; aber auch im Alterthum war sie nur für Bevorzugte vorhan-
den und ersetzte auch mit ihren oberflächlicheren Bestandteilen nur bei den
höher Gebildeten die Religion. Sie hatte weder die Kraft noch den Muth, Ge-
meingut zu werden. Ihr fehlte nicht blos die Freiheit, sondern auch die Fähig-
keit, etwas auszubilden, was auch den untersten Schichten, ja auch nur dem
durchschnittlichen Publicum, hätte zur Wohlthat werden können.“ (Dühring
1882, 249) Entsprechend soll gelten: „Hienach ist die Emancipation von der
Philosophie heute eine Vorbedingung einer bessern Geistes- und Lebensfüh-
rung. Die Classe der Philosophen ist heute etwas Rückständiges und Verkehr-
tes. [...]. Ersatz der Philosophie durch etwas Besseres ist ein Hauptbestandtheil
der Geistesreform und ein wesentliches Element der neuen Sache.“ (Ebd., 250)
JGB 204 - immerhin ein Abschnitt, der offen gegen Dühring polemisiert (vgl.
NK 131,11-14)! - kehrt einfach die Bewertungsmaßstäbe um und will den Elitis-
mus der Philosophie restituieren, der Dühring altbacken und überholt er-
schien.
129, 24-26 nachdem sich die Wissenschaft mit glücklichstem Erfolge der Theo-
logie erwehrt hat, deren „Magd“ sie zu lange war] Im mittelalterlichen Denken
galten Philosophie (und nach damaligen Verständnis die ganze Wissenschaft)
als ancilla theologiae, als „Magd der Theologie“ (Petrus Damiani: De omnipo-
tentia 6). Vgl. auch GT 14, KSA 1, 94, 7 f.

130, 9 Eckensteher] Vgl. NK 42, 19.
 
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