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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0586
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566 Jenseits von Gut und Böse

132, 26-29 Es kommt hinzu, um die Schwierigkeit des Philosophen noch einmal
zu verdoppeln, dass er von sich ein Urtheil, ein Ja oder Nein, nicht über die Wis-
senschaften, sondern über das Leben und den Werth des Lebens verlangt] In GD
sollte hingegen das Ansinnen zurückgewiesen werden, Philosophen hätten
den Wert des Lebens abzuschätzen, wie das etwa Schopenhauer oder auch
Dühring (1865 unter dem programmatischen Titel Der Werth des Lebens) getan
hatten, denn als lebende Wesen sind Philosophen stets Partei und könnten so
nie ein qualifiziertes Urteil fällen, vgl. NK KSA 6, 68, 10-19 u. NK KSA 6, 68,
19-23. JGB 205 spricht dem Philosophen hingegen eine solche Urteilskompe-
tenz zu, und zwar nicht, weil er als Richter besonders ,objektiv4 und unbefan-
gen wäre, sondern weil sich in diesem Urteil sein Weltzugriffswille, sein befeh-
lendes, sein wertsetzendes Talent manifestieren würde: Wie ein Philosoph über
den Wert des Lebens urteilt, zeigt, was für ein Philosoph, wie mutig, wie ver-
führungs- und versuchungsbereit er ist.
In JGB 31, KSA 5, 49,17 erscheint das „Ja und Nein“ im Urteil als vorschnel-
les, jugendliches Ungestüm; JGB 205 verlangt dem Philosophen hingegen letzte
Entscheidungen ab (vgl. auch Burnham 2007, 13).
206.
Liegt der Fokus der beiden vorangehenden Abschnitte auf dem Philosophen,
der sich vom Gelehrten gerade unterscheiden soll, steht nun dieser im Zen-
trum. Die an ihn adressierten Vorwürfe, die auf einem Vergleich mit dem „Ge-
nie“ (133, 17) gründen, sind konventionell: Kann das Genie entweder zeugen
oder gebären (vgl JGB 248, KSA 5, 191), so gilt der Gelehrte hingegen als un-
fruchtbar, als altjüngferlich, damit immerhin als achtbar. Kurzgeschlossen mit
dem „wissenschaftliche[n] Mensch[en]“ (133, 27) erscheint er aber auch als
„eine unvornehme Art Mensch“ (133, 28), ist er doch weder autoritativ noch
autark, sondern ein Herdentier, beseelt vom „Neide“ (134, 11) gegenüber den
Großen. JGB 206 denunziert den Gelehrten, weil er sich nicht ehrfurchtsvoll
und willfährig genug gegenüber dem „Genie“ zeigt, bleibt indes den Beweis
dafür schuldig, dass diese Denunziation nicht bloßer Reflex jenes Neides ist,
der das „Genie“ angesichts der gesicherten Mittelmäßigkeit des Gelehrten pla-
gen könnte. Eine Selbstkritik des „Genies“ findet nicht statt; seine Kritik am
Gelehrten bleibt ebenso oberflächlich wie unfruchtbar.
134,10 Unarten einer unvornehmen Art: er ist reich] Nach KSA 14, 361 hieß es
in der Reinschrift: „Unarten einer unvornehmen Art (welche, wie es sich von
selber versteht, deshalb immer noch eine ebenso schätzenswerthe als unent-
behrliche Art sein kann - Anmerkung für Esel!) er ist reich“. Vgl. NL 1885/86,
KSA 12, l[170], 48, 11-14 (KGW IX 2, N VII 2, 90, 2-10).
 
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