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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0629
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Stellenkommentar JGB 216, KSA 5, S. 151-152 609

so sind wir modernen Menschen, Dank der complicirten Mechanik unsres „Ster-
nenhimmels“ — durch verschiedene Moralen bestimmt; unsre Handlungen
leuchten abwechselnd in verschiedenen Farben, sie sind selten eindeutig, — und
es giebt genug Fälle, wo wir bunte Handlungen thun.] Wie JGB 196 (vgl. NK
117, 11-15) und JGB 243 (vgl. NK 183, 28-31) geht dieser Abschnitt auf die erst
in KGW VII 4/2, 69 vollständig publizierte Aufzeichnung 25[518] vom Frühjahr
1884 aus W I 1 zurück, die wiederum - wie Groddeck 1989, 505-507 gezeigt
hat - ein kommentierendes Exzerpt aus Angelo Secchis Buch Die Sterne dar-
stellt. Der für JGB 215 relevante Teil der Aufzeichnung lautet: „- mitunter 2
Sonnen die Bahnen der Planeten bestimmend, abwechselnd rothes und grünes
Licht spendend und dann wieder gleichzeitig in verschiedenen Farben leuch-
tend am Himmel stehend - /Gleichniß/ Wir sind durch verschiedene Moralen
bestimmt und unsere Handlungen leuchten in verschiedenen Farben“ (KGW
VII4/2, 69, 9-15). Im Abschnitt über die Doppelsterne heißt es bei Secchi 1878,
223 f.: „In einem System von so bedeutender Excentricität, wie das von a im
Centauren, müssen die Planeten bald von zwei sehr benachbarten Sonnen,
bald von einer nahen und einer weit entfernten erwärmt werden. Wer kann
den Wechsel des Lebens ergründen, der unter diesen Verhältnissen stattfinden
mag? Nur derjenige, welcher mit einer beschränkten Anzahl von Mitteln eine
unbegrenzte Mannichfaltigkeit der Resultate zu erzielen weiss. Weiter bedenke
man, dass die Doppelsterne häufig verschiedene und complementäre Farben
haben. Selbst die Phantasie eines Dichters würde nicht im Stande sein, einen
Tag zu schildern, der von einer rothen Sonne beleuchtet /224/ wird, mit einer
Nacht, die von einer grünen Sonne erhellt wird, oder einen Tag, an welchem
zwei Sonnen mit verschiedener Farbe strahlen, und einer Nacht, die mit gold-
farbigem Dämmerlicht beginnt und mit blauem verschwindet! / Vielleicht kön-
nen später einmal die Farben der Doppelsterne dazu dienen, um die physische
Zusammengehörigkeit derselben zu erkennen.“ Was N. also über die Verhält-
nisse im Doppelsternsystem Alpha Centauri bei Secchi gelernt hatte, schenkte
ihm eine Analogie, um das Schillernde und Vielgestaltige unserer Handlungen,
die von unterschiedlichen „Moralen“ bestimmt sind, in Szene zu setzen.
216.
Wenn JGB 216 in der Eingangszeile nach der Feindesliebe fragt, wird damit
eine mögliche Kandidatin für „unsere Tugenden“ benannt, die der Titel des
Siebenten Hauptstücks zum Gegenstand macht. Feindesliebe erweist sich da-
bei als bereits „gut gelernt“ (152,16) und „heute tausendfältig“ (152,17) prakti-
ziert, ohne dass davon viel Aufhebens gemacht würde, denn „Moral als Attitü-
de“ sei „uns“ (152, 23) heute so zuwider wie einst den „Väter[n]“ in der Aufklä-
 
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