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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0631
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Stellenkommentar JGB 218, KSA 5, S. 152-153 611

Tugend in Intoleranz. Die Pflicht scheint bei ihr an Stelle des Herzens zu
sein“).
152, 26 f. die Feindschaft und Voltairische Bitterkeit gegen die Religion] Für N.
war der von Voltaire gegen die katholische Kirche gerichtete Schlachtruf „Ecra-
sez l’infäme!“ der Inbegriff der aufklärerischen Religionskritik (dazu ausführ-
lich NK KSA 6, 374, 29). Vgl. auch NK 54, 13-17 u. Heller 1972b, 298 f.
152, 29 f. Puritaner-Litanei] Vgl. NK 80, 12-24.
217.
Die in JGB 217 empfohlene Vorsicht vor den sich selbst gegenüber moralisch
Anspruchsvollen, die man bei etwas für sie Umoralischem ertappt hat, ist nicht
mehr als eine Klugheitsmaxime im Stile von Baltasar Graciän oder La Roche-
foucauld, die insofern zu „unseren Tugenden“ zählen könnte, als diese Tugen-
den jenseits von Gut und Böse gerade auch taktische Direktiven im Umgang
mit moralisch traditionelleren Menschen inkorporieren könn(t)en. Die Ertapp-
ten vermöchten mit der Scham nicht zu leben und verfolgten die Ertappenden
daher mit ihrem Ressentiment. Man mag darüber spekulieren, inwiefern JGB
217 N.s eigene Erfahrungen mit Freunden („unsre ,Freunde“4 - 152, 7 f.) spie-
gelt - und ob es einen Zusammenhang mit der ,,tödtliche[n] Beleidigung“ gibt
(N. an Overbeck, 22. 02.1883, KSB 6/KGB III/l, Nr. 384, S. 337, Z. 29), die Wag-
ner N. zugefügt haben soll (vgl. NK KSA 6, 11, 5-9).
153, 8 f. Selig sind die Vergesslichen: denn sie werden auch mit ihren Dummhei-
ten „fertig“.] Die Sentenz ist in ironischer Analogie zu Jesu Seligpreisungen bei
Matthäus 5, 3-11 konstruiert und bringt die schon in UB II HL stark gemachte
Notwendigkeit des Vergessens um des Lebens willen auf den Punkt (vgl. Wein-
rich 2005, 166; zur systematischen Relevanz Sommer 2013b). 153, 8 f. lässt sich
als direkte Kontrafaktur zu Matthäus 5, 4 lesen: „Selig sind, die da Leid tragen;
denn Sie [sic] sollen getröstet werden.“ (Die Bibel: Neues Testament 1818, 6)
Die Trauernden können nicht vergessen und bedürfen deshalb des Trostes, der
von außen kommt, während die Vergesslichen aus sich selber, aus ihrer Ver-
gesslichkeit Trost schöpfen. Vgl. auch Lehmann 1879, 148: „Vergiß des Uebels,
so bist du genesen!“
218.

JGB 218 schlägt vor, den bisher einseitig auf das bürgerliche Leben und seine
Unzulänglichkeiten konzentrierten psychologischen Forschereifer auf „die Phi-
 
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