Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0637
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar JGB 221, KSA 5, S. 155 617

und seine Existenz ist zu jeder Zeit bestritten worden“). Die von N. bei anderen
konstatierte Gleichsetzung von Moral und desinteressement formulierte Guyau
1885, 25 explizit: „II faut fleurir; la moralite, le desinteressement, c’est la fleur
de la vie humaine.“ („Man muss blühen; die Moralität, das desinteressement,
ist die Blüte des menschlichen Lebens.“ Vgl. auch ebd., 135 u. 206.) Andere
Lektüre-Partner N.s waren allerdings vorbehaltvoller, so Edmond Scherer in
einem Artikel unter dem Titel La crise actuelle de la morale, der moniert, dass
die Idee der Moral selbst unter Beschuss geraten sei, „ici par la Science et la
raison, lä par cette espece de desinteressement universel que produisent les
desabusements de l’äge, l’experience d’un monde vieilli“ (Scherer 1885, 156 -
„hier durch die Wissenschaft und die Vernunft, dort durch diese Art von uni-
versellem desinteressement, das die Blasiertheiten des Alters hervorbringen,
die Erfahrung einer gealterten Welt“. Von N. mit Randstrich markiert). Das
Substantiv „desinteressement“ als „Abzeichen des Moralischen“ bemüht N.
ausdrücklich in JGB 260, KSA 5, 210, 14 f.
155,13-15 „Und die Liebe?“ — Wie! Sogar eine Handlung aus Liebe soll „unego-
istisch“ sein? Aber ihr Tölpel —/] Die reine, nicht mit Begierde vermengte Liebe,
etwa zu Gott, gilt in der metaphysischen Tradition als Beispiel für unegoisti-
sches Handeln, weil sie buchstäblich alles für den Geliebten hinzugeben bereit
ist. Eine klassische Formulierung konnte N. in der Filterung von Kuno Fischer
aus Leibniz’ Principes de la nature et de la gräce (§ 16 u. 18) ziehen, wo Leibniz
von der allein wahrhaft glücklich machenden Liebe zu Gott sagte: „Obgleich
diese Liebe uninteressirt ist, so macht sie durch sich selbst unser höchstes Gut
und Interesse“ (Fischer 1867, 2, 715).
155, 15-19 „Und das Lob des Aufopfernden?“ — Aber wer wirklich Opfer ge-
bracht hat, weiss, dass er etwas dafür wollte und bekam, — vielleicht etwas von
sich für etwas von sich — dass er hier hingab, um dort mehr zu haben, vielleicht
um überhaupt mehr zu sein oder sich doch als „mehr“ zu fühlen.] Dem steht etwa
Spencers Altruismus-Programm gegenüber: „Un jour viendra, dit meme M.
Spencer, oü Finstinct altruiste sera si puissant que les hommes se disputeront
les occasions de l’exercer, les occasions de sacrifice et de mort“ (Guyau 1885,
52. „Ein Tag wird kommen, sagt sogar Herr Spencer, wo der altruistische Ins-
tinkt so stark sein wird, dass die Menschen sich um die Gelegenheiten streiten
werden, ihn auszuüben, um die Gelegenheiten des Opfers und des Todes“).

221.
In JGB 221 tritt ein „ein moralistischer Pedant und Kleinigkeitskrämer“ (155,
26 f.) auf, der es mit der Ungleichheit der Menschen buchhalterisch genau
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften