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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0638
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618 Jenseits von Gut und Böse

nimmt und sich nicht nur selbst dabei beobachtet, wie er moralische Urteile
fällt, sondern sich auch zur Differenzierung anhält, die ,,[j]ede unegoistische
Moral“ verleugne, „welche sich unbedingt nimmt und an Jedermann wendet“
(156, 3f.): Jeder müsste demnach seine eigene Tugend finden; Moral wäre nicht
verallgemeinerbar, sondern hätte sich im Vorfeld jedes Urteils vor der „Rang-
ordnung“ (156, 9) zu beugen. Scheint die hier verkündete Position auf An-
hieb auch ganz mit derjenigen identisch zu sein, die das (in JGB 221 nicht vor-
kommende) „Wir“ in JGB sonst schmackhaft machen möchte, wird nach einem
Gedankenstrich dieser „moralistische[.] Pedant und bonhomme“ (156,13 f.) mit
der eingeworfenen Frage bedacht, ob er angesichts seines Versuchs, „die Mora-
len“ „zur Moralität“ (156,15) zu ermahnen, nicht ausgelacht zu werden verdie-
ne. Die Frage bleibt unbeantwortet, ebenso wie diejenige der Leser zum Ver-
hältnis des „Pedanten“ zur Position des Sprechers. Liegt die Differenz zwi-
schen dem Sprecher und dem „Kleinigkeitskrämer“ hauptsächlich darin, dass
der „Pedant“ kleinlich aufrechnet, wie es um jeden einzelnen im moralischen
Feld bestellt sein mag, oder eher darin, dass er die Moral(en) mit moralischen
Mitteln traktiert, mit seinen moralischen Urteilen bis in die geheimsten Winkel
verfolgt? Zur Interpretation vgl. auch Steinmann 2000, 202 f.
156, Hf. dass es unmoralisch ist] Fälschlich heißt es in KSA 5, 156, 11 f.:
„das es unmoralisch ist“. Das ist ein Druckfehler; in der Erstausgabe steht
unmissverständlich: „dass es unmoralisch ist“ (Nietzsche 1886, 166).
156,12 f. „was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig“] Das Sprichtwort ist
sehr weit verbreitet und vielfach nachgewiesen (vgl. die Belege bei Wander
1867-1880, 3, 1541). N. wandte es auch in NL 1877, KSA 8, 25[1], 482, 11 f. bei
einer Kritik am Sozialismus an, der zufolge das Sprichwort im „Naturzustande“
gerade nicht gelte, sondern es dort nur auf die Macht ankäme. Ein Jahrzehnt
später gegen John Stuart Mill: „Ich perhorreszire seine Gemeinheit, welche sagt
,was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig; was du nicht willst usw., das
füge auch keinem Andern zu‘; welche den ganzen menschlichen Verkehr auf
Gegenseitigkeit der Leistung begründen will, so daß jede Handlung
als eine Art Abzahlung erscheint für etwas, das uns erwiesen ist“ (NL 1887,
KSA 13, 11[127], 60, 22-61, 1, entspricht KGW IX 7, W II 3, 142, 17-24).
156,14 bonhomme] „Bonhomme ([...]), gutherziger Mensch, Biedermann (auch
im spöttischen Sinn)“ (Meyer 1885-1892, 3, 191).

222.
Dass die Selbstverachtung, die contemptio sui oder despectio sui (vgl. GM III
18, KSA 5, 384, 2 f.) zum Selbstverständnis des christlichen Sünders gehört, war
 
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