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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0681
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Stellenkommentar JGB 235, KSA 5, S. 173 661

ein denkendes Geschöpf wäre, so hätte sie ja, als Köchin seit Jahrtausenden,
die größten physiologischen Thatsachen finden müssen! Durch schlechte Kö-
chinnen, d. h. durch das Weib ist die Entwicklung des Menschen am meis-
ten bisher aufgehalten worden!“ Bei der ursprünglichen Fassung vor dem Ein-
schub scheint also noch gar nicht die Frau als Köchin im Mittelpunkt des Inte-
resses gestanden zu haben, sondern die traditionell als „alma mater“, als
nährende Mutter geltende Universität, die für ihre diätetische Gleichgültigkeit
getadelt wird - ein Aspekt, der in JGB 234 dann gänzlich entfällt. Dass die
Frauen im bürgerlichen Haushalt für die Küche zuständig waren, gibt NL 1885,
KSA 11, 41[5], 680, If. (entspricht KGW IX 4, W I 5, 39, 13 f.) umgekehrt auch
Anlass, satirisch über Schriftstellerinnen herzuziehen: „Man schlägt ein weibli-
ches Buch auf: — und bald seufzt man ,wieder eine verunglückte Köchin!“4
Die Frage der richtigen Ernährung beschäftigte N. in seiner Autogenealogie
dann ganz konkret, vgl. EH Warum ich so klug bin 1 (z. B. NK KSA 6, 279, 3-
9); der notorisch magengeschwächte N. konsultierte in eigener Sache auch die
einschlägige Fachliteratur (z. B. Wiel 1873; Wiel 1875 u. Meinert 1882). All die
Vorbehalte gegen kochende Frauen hielten N. persönlich allerdings nicht da-
von ab, Mutter und Schwester am 4./11.12.1884 aus Nizza wissen zu lassen:
„Ich brauche, für mein späteres Leben hierselbst 1) eine unabhängige Woh-
nung 2) eine Köchin 3) meinen Musiker Köselitz“ (KSB 6/KGB III/l, Nr. 564,
S. 568, Z. 26-28, vgl. 8./11. 01.1885 an dieselben, KSB 7/KGB III/3, Nr. 568, S. 3,
Z. 20 f.). Offensichtlich traute N. den Frauen in der Küche doch noch etwas zu,
ansonsten wäre JGB 234 wohl auch nicht adressiert als „Rede an höhere Töch-
ter“ (173, 5f.).

235.
173, 8-10 es giebt Sentenzen, eine kleine Handvoll Worte, in denen eine ganze
Cultur, eine ganze Gesellschaft sich plötzlich krystallisirt] Man könnte versucht
sein, daraus N.s Begriff des Aphorismus gewinnen zu wollen, siehe Born 2012b.
173, 11-13 jenes gelegentliche Wort der Madame de Lambert an ihren Sohn:
„mon ami, ne vous permettez jamais que de folies, qui vous feront grand plaisir“]
Korrekt notiert hatte sich N. dieses Zitat in NL 1884, KSA 11, 25[45], 22, 14-16
(„que les folies“ statt „que de folies“). Er hat es den Memoires et voyages von
Astolphe de Custine entnommen, genauer gesagt einem dort abgedruckten
Brief Custines aus Rom vom 25. 02.1812, in dem es heißt: „Madame de Lambert
a montre bien de la profondeur d’esprit dans ce seul mot adresse ä son fils:
,Mon ami, ne vous permettez jamais que les folies qui vous feront grand plai-
sir.4“ (Custine 1830, 1, 187. „Frau de Lambert hat viel Geistestiefe in diesem
 
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